Probstzella, Frühjahr 1983. Roland Jahn wird am 8. Juni 1983 gegen seinen Willen ausgebürgert und mit Gewalt in die Bundesrepublik abgeschoben. In Knebelketten zum Grenzübergang Probstzella gebracht, sperrt man ihn in ein Zugabteil, das erst in der Bundesrepublik vom Schaffner geöffnet wird. Dabei will Roland Jahn die DDR nicht verlassen, sondern sie verändern. Fantasievoll prangert er in Einzelaktionen Ungerechtigkeiten an und bringt sie mithilfe der westlichen Medien an die Öffentlichkeit.
Nachdem er 1977 wegen seiner Proteste gegen die Ausbürgerung Wolf Biermanns von der Universität Jena geworfen wird, geht er mit einem leeren weißen Plakat auf die offizielle Kundgebung zum 1. Mai. Alle, die das Plakat sehen, verstehen die Botschaft: Ich darf meine Meinung nicht sagen, aber die Stasi kann schlecht ein leeres Plakat verbieten. Ebenso verschickt er Postkarten mit einem Foto von sich, auf dem eine Gesichtshälfte als Hitler und die andere als Stalin geschminkt ist. In diesem Aufzug nimmt er am 1. Mai 1982, neben der offiziellen Tribüne stehend, die Parade ab. Er will die Menschen zum Nachdenken anregen, unter wem man schon alles am 1. Mai marschiert ist.
Am 1. September 1982 wird er verhaftet, weil er eine polnische Flagge mit dem Schriftzug der verbotenen polnischen Gewerkschaft Solidarnosc am Fahrrad hat. Im Gefängnis versucht die Stasi mit allen Mitteln, ihn zur Ausreise zu bewegen. Die Stasi-Leute zeigen ihm Postkarten von einer Freundin aus Paris und sagen ihm, dass alle seine Freunde bereits in der Bundesrepublik sind, auch Petra Falkenberg und ihre gemeinsame Tochter, was nicht der Wahrheit entspricht. Daraufhin unterschreibt er den Ausreiseantrag.
Nach sechs Monaten Untersuchungshaft wird er zu 22 Monaten Freiheitsstrafe wegen „öffentlicher Herabwürdigung der staatlichen Ordnung“ und „Missachtung staatlicher Symbole“ verurteilt, kurz darauf jedoch wegen der Proteste, auch aus der Bundesrepublik, freigelassen. Die unverhoffte Freiheit ist ein Triumph für ihn, er zieht den Ausreiseantrag zurück und engagiert sich bis zu seiner gewaltsamen Ausbürgerung in der Friedensgemeinschaft Jena.
Die erste Zeit in West-Berlin ist schwer, er will in die DDR zurück und weigert sich zunächst, den Pass der Bundesrepublik anzunehmen. In die DDR darf er offiziell nicht mehr einreisen. Erst bei einer illegalen Reise nach Jena 1985 wird ihm klar, dass seine Heimatstadt nicht mehr so ist wie in seiner Erinnerung. Alle seine Freunde sind weggezogen oder ausgewiesen.
Roland Jahn engagiert sich nun von der Bundesrepublik aus. Er wird in West-Berlin neben Jürgen Fuchs zum wichtigsten Unterstützer der DDR-Opposition. Er ist Kontaktperson und Nachrichtenzentrale, besorgt Druckmaschinen, Videokameras, Bücher und Computer und lässt sie von einem Netz von Kurieren in die DDR schmuggeln. Die Stasi sieht in ihm einen Hauptfeind und bespitzelt ihn auch in West-Berlin. Sie versucht, seinen Ruf zu schädigen, indem sie Gerüchte über seine angebliche Tätigkeit für westliche Geheimdienste streut, und erlässt im Dezember 1987 einen Haftbefehl gegen ihn wegen „landesverräterischer Nachrichtenübermittlung“ – obwohl er inzwischen Bürger der Bundesrepublik ist.
Biografische Angaben zu Roland Jahn finden sie im Personenlexikon.
Zitierempfehlung: „Roland Jahn“, hrsg. v. Bundeszentrale für politische Bildung und Robert-Havemann-Gesellschaft e.V., letzte Änderung Dezember 2019, www.jugendopposition.de/145512
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Es war am Jahrestag der Solidarnosc;, und diesen Tag bin ich wieder mit meiner polnischen Fahne rum gefahren. An diesem Tag hat man mich einfach weggefangen. Man hat mir vorgeworfen, meine kleine polnische Fahne mit der Aufschrift ´Solidarnosc; z polskim narodem` (Solidarität mit dem polnischen Volk) sei Missachtung staatlicher Symbole. In den Verhören habe ich natürlich gemerkt: Es geht nicht um die polnische Fahne. Der Vernehmer hat zu mir gesagt: ´Die polnische Fahne, das ist doch bloß Kompott. Sie wissen doch genau, um was es geht. Es geht um Ihre Aktivitäten, die sie vorher schon gemacht haben. Es geht darum, dass sie den Tod von Matthias Domaschk auch im Westen öffentlich gemacht haben. Es geht darum, dass sie am 1. Mai unsere Staatsführung in Misskredit gebracht haben. Dass sie den 1. Mai sozusagen denunzieren. Darum geht es. Um alles, was sie machen`.
In der DDR ist verhaftet worden, wenn das Maß voll war. Da wurde man einfach abgeholt. Dann wurde ein Schauprozess gemacht, irgendwas findet man schon. Und so hat man bei meiner Hausdurchsuchung die Postkarten mit dem Bildungsverbot gefunden, und die hat man dann in das Ermittlungsverfahren mit reingenommen. So wurde ich verknackt. Und nachdem man mich verurteilt hatte, kam ein Vernehmer zu mir in die Zelle und hat gesagt: ´Na, Jahn, haben Sie nun gesehen – es geht nicht drum, wer Recht hat und auf wessen Seite die Gesetze sind. Es geht darum, wer die Macht hat. Und die haben wir. Im Interesse der Arbeiterklasse`. Das ganze Verfahren lief darauf hinaus, mich so unter Druck zu setzen, dass irgendwann der Tag kommt, an dem ich abwinke. Wo ich resigniere, wo ich sehe: Es hat keinen Sinn mehr, in dieser DDR weiterzumachen.
Es entstand plötzlich eine Protestwelle, so dass man unsere ganze Gruppe aus Jena kurzfristig rauslassen musste. Die Entlassungen in der DDR, das war natürlich ein Triumph: Jede Macht hat ihre Grenzen. Mit dieser Entlassung war für mich klar, ich bleibe in der DDR. Wir haben viele, viele Chancen. Wir müssen uns nur zur Wehr setzen, und wir müssen Mitstreiter suchen. Das hat mir die Kraft gegeben, weiterzumachen in der DDR. Und ich habe immer gesagt: Ich bleibe.
Roland Jahn, Zeitzeuge auf www.jugendopposition.de