Noch während der letzten Kämpfe 1945 beginnen der sowjetische Militärgeheimdienst und der Narodnyj Kommissariat Wnutrennych Djel (NKWD = Innenministerium der UdSSR), Internierungslager in Deutschland zu errichten. Teilweise greifen sie dabei auf die Konzentrationslager der Nationalsozialisten zurück: Sachsenhausen und Buchenwald werden nach Kriegsende weiterhin genutzt. Außerdem werden acht neue Speziallager eingerichtet.
Knapp 160.000 Häftlinge sitzen laut NKWD zwischen 1945 und 1950 in den Speziallagern ein, unter ihnen ca. 123.000 Deutsche, aber auch über 34.000 sowjetische Bürger. Vermutlich beläuft sich die Menge der Internierten sogar auf über 176.000 Personen. Mehr als 46.000 Menschen sterben unter anderem infolge von Hunger und mangelnder Hygiene.
Ein Teil der festgenommenen Personen wird von Sowjetischen Militärtribunalen (SMT) verurteilt – in Schnellverfahren ohne Verteidiger und Berufungsmöglichkeit. Der Großteil wird ohne Gerichtsurteil in den Lagern festgehalten. Bis 1955 werden etwa 40.000 deutsche Zivilpersonen von einem SMT verurteilt. Die meisten von ihnen bekommen 25 Jahre Zwangsarbeit verordnet; etwa 3.000 werden zum Tode verurteilt. Sicher nachgewiesen sind über 1.600 vollstreckte Todesurteile.
Bis zum Sommer 1948 werden die Lager bis auf Buchenwald, Sachsenhausen und Bautzen wieder aufgelöst. 27.750 Häftlinge werden entlassen. Die SMT-Verurteilten sind von der Amnestie nicht betroffen.
Die Behauptung, in den sowjetischen Konzentrationslagern hätten vorrangig ehemalige Nazis und Kriegsverbrecher ihre harte, aber gerechte Strafe erhalten, ist falsch. Zwar nimmt die Besatzungsmacht eine große Zahl Funktionsträger des NS-Systems fest (darunter viele niedere Chargen), doch geraten zunehmend Gegner der Sowjetisierung der ostdeutschen Gesellschaft in die Mühlen der Geheimdienste – darunter tatsächliche oder vermeintliche Gegner.
Zum Anschauen des Videos benötigen Sie Javascript oder Flash
1953, nach Stalins Tod, beabsichtigte die Verwaltung der zuständigen Lager-Obrigkeit, dass man die Verhältnisse etwas bessern müsste, damit es mehr Produktivität gäbe. Die hatten nämlich endlich festgestellt – das ist übrigens auch das Ergebnis wissenschaftlicher Arbeiten –, dass der Versuch, die Bodenschätze mit Häftlingen zu gewinnen, ein Negativgeschäft ist. Dass es teurer ist, als wenn man es mit Freien macht. Aber so schnell konnte man die Lager nicht abschaffen. Offensichtlich sind sie auch zur Einsicht gekommen, dass diese Massenverhaftungen nicht mehr durchzuführen sind. Sie haben ja kein Volk mehr, nicht wahr? Wenn hier Millionen eingesperrt sind, dann fallen ja auch mögliche Väter und Mütter aus.
Wir Häftlinge hofften, dass sich auch was für uns ändern würde. Wobei die Befürchtung war: Entweder wird es noch schlimmer, oder es ändert sich etwas zum Besseren. Die obersten Verantwortlichen für den Einsatz der politischen Häftlinge haben meiner Meinung nach einen Riesenfehler gemacht: Nämlich, dass sie ein Lagergebiet auflösten, wo die aufsässigsten Arbeitsverweigerer waren – die Ukrainer im Gebiet von Karaganda. Dann verteilten sie dieses Kontingent von etwa 8.000 [Arbeitern] auf die einzelnen Lager in Workuta. Gerade heute habe ich mich mit jemandem darüber unterhalten, jemand, der versucht, das im Rahmen eines Forschungsauftrags zu ergründen. Denen in Karaganda soll gesagt worden sein: `Ihr kommt jetzt in ein Gebiet, wo ihr euch frei ansiedeln könnt. Ihr werdet auch im Bergwerk arbeiten, aber dort gibt es bessere Bezahlung und bessere Verhältnisse`.
Doch das stimmte nicht, denn Workuta war schlechter als Karaganda, was die allgemeinen, auch die klimatischen Lebensverhältnisse betraf. Ein großes Kontingent kam nun in unsere Lager und rebellierte. Sie gingen nicht zur Arbeit und forderten, dass hier Kommissionen hinkommen, denen sie ihre Wünsche vortragen können. [Sie wollten wissen], warum sie belogen worden waren. Es herrschte große Unruhe. Aber in unserem Lager konnten die sich nicht durchsetzen – gegenüber den Leuten, die schon seit '47 einsaßen oder schon im Krieg gegen die Sowjets gekämpft hatten, gegenüber den Bandera-Offizieren [ukrainische Nationalisten] und den ukrainischen Aufständischen. Die waren der Meinung: Warten wir mal, wie die Entwicklung ist. Wir wollen es nicht auf die Spitze treiben.
Roland Bude, Zeitzeuge auf www.jugendopposition.de
Aus den bekannten Zahlen der sechs wichtigsten Haftanstalten in der DDR ergibt sich, dass 1950 etwa 25 Prozent der dort einsitzenden SMT-Verurteilten für Delikte vor Kriegsende verurteilt wurden. Über die Hälfte wurde wegen verschiedener Delikte gegen Anordnungen der Besatzungsmacht oder wegen zutreffender oder vermeintlicher Spionage verurteilt.
Im Dezember 1946 will die sowjetische Regierung 27.000 arbeitsfähige deutsche Männern aus den Speziallagern in Richtung Osten deportieren lassen. Sie sollen die Kriegsgefangenen in den russischen Bergwerken ersetzen, die mittlerweile arbeitsunfähig sind. Aber die Ärztekommissionen finden im Winter 1946/47 unter den knapp 80.000 Häftlingen nicht einmal 5.000 Männer, die ihnen für die Zwangsarbeit in Sibirien als tauglich erscheinen.
In den Speziallagern in Deutschland herrscht ein furchtbares Massensterben. Sowjetische Unterlagen weisen allein für Januar bis März 1947 über 9.000 Tote aus. Dies liegt an einer am 1. November 1946 in Kraft getretenen Senkung der Verpflegung: Statt 600 Gramm Brot, 100 Gramm Makkaroni und 920 Gramm Kartoffeln (oder Gemüse) erhalten nichtarbeitende Häftlinge nur noch 300 Gramm Brot, 400 Gramm Kartoffeln, 15 Gramm Zucker, 40 Gramm Fleisch oder Fisch und 200 Gramm Gemüse pro Tag. Viele der Gefangenen verhungern.
An den unmenschlichen Zuständen in den Speziallagern ändert sich bis zu deren Auflösung 1950 nur wenig. Circa 10.000 Insassen werden entlassen. Knapp 14.000 werden an die DDR-Behörden ausgeliefert: entweder zur weiteren Strafabbüßung oder zur Verurteilung 1950 in Waldheim. Unter ihnen gehören 10.500 zu den sogenannten SMT-Verurteilten. In der Sowjetunion befinden sich noch bis 1955 Deutsche in den Gulag-Lagern. Darunter sind auch junge Menschen, die von der Besatzungsmacht beschuldigt werden, der Werwolf-Organisation angehört zu haben. Andere politisch Aktive oder Kriminelle werden zu unangemessen hohen Strafen verurteilt. Während der Verhöre sind schwere Misshandlungen die Regel.
Zitierempfehlung: „Der deutsche Gulag“, hrsg. v. Bundeszentrale für politische Bildung und Robert-Havemann-Gesellschaft e.V., letzte Änderung Dezember 2019, www.jugendopposition.de/145420
Zum Anschauen des Videos benötigen Sie Javascript oder Flash
Sprecher (off): „Nach einem Beschluss der Regierung der UdSSR wurden alle Internierungslager aufgelöst, die unter Kontrolle der sowjetischen Behörden in Deutschland standen. Wie hier in Sachsenhausen werden auch in den beiden anderen Lagern insgesamt mehr als 15.000 Personen im Laufe eines Monats entlassen. Die Aushändigung des Reisegeldes an Menschen, die aufgrund des Potsdamer Abkommens über die Demokratisierung Deutschlands inhaftiert waren. Sie lebten, wie Propst Gröber, ein hoher Würdenträger der Evangelischen Kirche, berichtete, weitaus besser und menschenwürdiger als die Umsiedler in den Lagern der Westzone. Die Entlassenen werden zeigen müssen, ob sie diesen Vertrauensbeweis zu würdigen verstehen. Die Behörden werden sie bei ihrer Rückkehr in die Gesellschaft unterstützen. Sollten aber in- und ausländische Feinde unserer Republik neue Anschläge gegen die demokratische Ordnung versuchen, wird die Antwort hart und unmissverständlich sein!“
Quelle: Lager des Schweigens – Workuta, Chronos-Film GmbH, 1990