Die Nachricht vom Tod Matthias Domaschks verbreitet sich wie ein Lauffeuer in den oppositionellen Kreisen in Jena und gelangt in andere Städte der DDR. Auch wenn erst nach 1989 Details über seine Verhaftung und die Verhöre ans Tageslicht kommen, sind sich schon kurz nach dem Tod von Matthias Domaschk viele sicher: Er ist ein Opfer der Stasi.
Obwohl es das MfS mit allen Mitteln zu verhindern sucht, kommen zu Matthias Domaschks Beerdigung am 16. April 1981 mehr als hundert Freunde auf dem Friedhof zusammen, darunter auch Roland Jahn. Die Beerdigung wird zu einer Demonstration gegen die Stasi-Willkür. Über Lutz Rathenow in Ost- und Jürgen Fuchs in West-Berlin gelangt die Nachricht von Matthias Domaschks Tod in den Westen. Am 21. Mai 1981 berichtet der Radiosender RIAS über den Fall, am 18. Juni die Zeitschrift Stern.
Matz Domaschks sinnloser Tod radikalisiert seine Freunde
Am 9. April 1982, ein Jahr nach Matthias „Matz“ Domaschks Tod, stellen Freunde zur Erinnerung eine Sandsteinskulptur auf dem Jenaer Johannisfriedhof auf: einen Schutz suchenden Menschen, darunter Namen und Lebensdaten. Die Plastik hat der Bildhauer Michael Blumhagen angefertigt, ein enger Freund von Matthias Domaschk und Kerstin Hergert. Dieser Tod soll unvergessen bleiben. Schon vier Tage später entfernt ein Einsatzkommando im Auftrag der Stasi die 200 Kilo schwere Skulptur. Alles soll möglichst ohne Aufsehen passieren. Aber Roland Jahn, der mit Matthias Domaschk befreundet war, liegt mit dem Fotoapparat auf der Lauer und hält den Abtransport fest (Bildergalerie).
Michael Blumhagen wird am 7. Juni 1982 als Reservist zur Nationalen Volksarmee einberufen – ein Zufall? Er verweigert, was er auf dem Wehrkreiskommando schon kurz nach der Verhängung des Kriegsrechts in Polen im Dezember 1981 erklärt hatte. Michael Blumhagen wird zu sechs Monaten Haft verurteilt. In dieser Zeit gelingt es Roland Jahn, die Fotos von der Entfernung der Skulptur in den Westen zu schmuggeln. Sie werden kurz darauf im Nachrichtenmagazin Der Spiegel veröffentlicht.
Die Stasi bestraft Matthias Domaschks trauernde Freunde
Wenige Wochen nach Michael Blumhagens Haftantritt verfügen die örtlichen Behörden, dass dessen Wohnhaus in Graitschen nahe Jena, das immer auch ein wichtiger Treffpunkt des Freundeskreises um Matthias Domaschk gewesen ist, „wegen Baufälligkeit“ abgerissen wird (Bildergalerie).
Noch im April 1982 gelingt es Matthias Domaschks Freunden Manfred Hildebrandt, Petra Falkenberg und Roland Jahn, eine Annonce in der Thüringer Landeszeitung und im regionalen SED-Blatt Volkswacht zu platzieren. Der einfache Text: „Wir gedenken unseres Freundes Matthias Domaschk, der im 24. Lebensjahr aus dem Leben gerissen wurde.“ Zusätzlich kleben die drei die Annonce als Flugblatt im ganzen Stadtgebiet von Jena. Die Stasi-Funktionäre toben, denn die Anzeige hätte von der Zeitung niemals angenommen werden dürfen. Von nun an wissen sie: Matthias Domaschks Tod wird nicht vergessen werden.
Nach Öffnung der Stasi-Archive Anfang der 1990er Jahre streben Matthias Domaschks Freunde einen Prozess gegen die Offiziere an, die Matthias Domaschk 1981 zwei Tage lang verhört haben und die für seinen Tod verantwortlich sind. Der Prozess, in dem die Staatsbeamten letztlich nur der Freiheitsberaubung angeklagt werden, endet ernüchternd: Insgesamt werden neun Stasi-Offiziere zu teilweise sehr geringen Geldstrafen verurteilt.
1996 wird eine Straße in Jena-Neulobeda nach Matthias Domaschk benannt, und am 22. Januar 2003 erklärt der Stadtrat von Jena das Grab von Matthias Domaschk auf dem Nordfriedhof zu einer schützenswerten Grabstätte.
Zitierempfehlung: „Aktionen nach dem Tod von Matthias Domaschk“, hrsg. v. Bundeszentrale für politische Bildung und Robert-Havemann-Gesellschaft e.V., letzte Änderung Dezember 2019, www.jugendopposition.de/145408
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„Matthias Domaschk ist, zusammen mit einem Freund, aus dem Zug geholt worden. Die sind beide in die Untersuchungshaft nach Gera gekommen. Der Freund kam wieder und hat alle gefragt, ob wir was von ihm [Matthias] wüssten, er habe ihn nicht mehr gesehen und nicht mehr gehört. Und da wäre so was Komisches passiert, was er nur am Rande mitgekriegt hat.
Frage: Welche Auswirkungen hatte der Tod von Matthias Domaschk auf die Junge Gemeinde?
Ich kann nur davon sprechen, wie das auf mich gewirkt hat. Auf mich hat das erstmal richtig paralysierend gewirkt. Ich habe mich wie gelähmt gefühlt. Wenn das möglich ist, dass aus einer Opposition heraus ein Mensch zu Tode kommt, im Gefängnis ... Wir haben alle so gelebt. Es kann sein, dass wir jetzt in Untersuchungshaft kommen oder ein paar Tage ins Gefängnis, vielleicht sogar richtig verurteilt werden. Wir wussten ja, dass es so komische Paragraphen gab. Damals habe ich nicht damit gerechnet, dass wirklich jemand dadurch sterben kann. Das war ein richtiger Schock.
Frage: Was hat das für eine Reaktion in Ihnen ausgelöst?
Erstmal Ohnmacht und Wut: Das kann doch nicht so bleiben, es muss doch irgendwas geschehen! Ich hatte Lust, irgendwas zusammen zu schlagen. Dann hat es mich in gewisser Weise radikalisiert. Zu sagen: Dann ist das die Realität, dann muss ich mich dem anpassen, dann bin ich eben nicht noch vorsichtiger, ganz im Gegenteil. Dann muss ich eben auch deutlicher und klarer, konsequenter sein. Noch mutiger sozusagen.“
Dorothea Fischer, Zeitzeugin auf www.jugendopposition.de