Abschrift
Den 13. August '61 habe ich früh erst mal als einen wunderschönen Tag empfunden, weil ich a) Geburtstag hatte und wir b) mit Freunden verabredet waren. Wir haben eine große Feier gemacht, und während der Feier wurde schon erzählt: In Berlin hat man eine Mauer gebaut. Wir haben das gar nicht für voll genommen, weil wir ja immer im Hinterkopf hatten: Wenn du willst, kannst du sowieso abhauen. Im Alter von 20 Jahren, bei einer Feier, ist das nicht d a s Thema.
Wir sind abends schlafen gegangen, morgens aufgewacht und sollten am 14. August wieder zu einer Fangreise aufbrechen. Bevor wir auslaufen konnten, mussten wir alle in den Speiseraum des Fischkombinats, den größten Versammlungsraum kommen. ´Wir`, das waren gleichzeitig fünf Schiffe, die auslaufen wollten, also über 100 Seeleute. Dort war eine Kader-Partei-Instrukteurin aus Berlin, die uns die Beschlüsse der ´Partei und Regierung` noch einmal erläutert hat. Wie ich jetzt im Nachhinein erfahren habe, waren in allen größeren Betrieben solche Instrukteure unterwegs. Man sprach von einem antifaschistischen Schutzwall`, das war die Begründung.
Sie hat uns das nun aus ihrer Sicht erklärt. Wir waren jung, wir waren mutig, und wir hatten morgens natürlich über den RIAS die wahren Gründe [erfahren]. Wir wussten ungefähr, worum es ging. Die Flüchtlingszahlen sprachen für sich: 30.000 im Schnitt im Monat. Sie erzählte eine Weile, sprach immer wieder vom antifaschistischen Schutzwall und davon, dass die Berliner Bevölkerung unsere Kampfgruppen begeistert begrüßt hatte: ´Die stehen voll und ganz dahinter`. Alles saß da und hörte sich das an, und jeder sagte sich: Die schwindelt aber. Irgendwann war ein Punkt erreicht, der das Fass zum Überlaufen brachte. Ich weiß nicht mehr, was sie im Einzelnen genau gesagt hat, jedenfalls habe ich gesagt: ´Das stimmt nicht. Ihr habt die Grenze zugemacht, weil die Leute abhauen! Euer System will keiner mehr haben, ihr hängt am Boden, ihr seid abgewirtschaftet`.
Und wie das so ist: Wenn einer was sagt, sagen viele was. Wir waren ja überwiegend junge Leute. Das endete in einem Tumult. Sie wollte was sagen, aber gegen 100 Seeleute kam sie nicht mehr an. Sobald die nur den Mund aufmachte, wurde sie niedergeschrien mit: ´Ost-Tussi, du schwindelst, du lügst`. Ich hab abgehalftert. Wir haben die einfach stehen lassen und sind rausgegangen. Was sollte sie machen? Sie konnte nichts machen. Wir waren zu viele. Wir sind raus, sind zum Dampfer gegangen, sind ausgelaufen. Und wir waren weg, bevor die bei der Stasi richtig anfangen konnten, zu rotieren und sich die so genannten ´Rädelsführer` zu greifen. Wobei ich mich nicht als Rädelsführer begriffen habe. Es war einfach eine Äußerung. Ich konnte es nicht verkraften, dass die uns offensichtlich belogen hat.
Johannes Rink, Zeitzeuge auf www.jugendopposition.de