Abschrift
„Bei der ersten offiziellen Mahnwachenandacht waren vielleicht 50 Leute da, 50, 60 Leute. Die standen alle noch, da saß gar keiner in den Reihen. Das Transparent hatten wir draußen hingehängt. Es besagte: Freiheit für die politisch Inhaftierten`, was sich auf Leipzig bezog, aber auch auf andere Städte. Wir hatten ja inzwischen auch andere Informationen. Diesen Schwung, den das nahm, und diese Massenwirksamkeit, mit der hatten wir am Anfang gar nicht gerechnet. Das war um den 2., 3. Oktober, und es wurden immer mehr. Am nächsten Tag waren es ein paar Hundert, und dann waren es schlagartig Tausende. Was besonders schön war, eine sehr interessante Erfahrung, war die Solidarität von Leuten, die eigentlich völlig unpolitisch waren. Die hatten einfach nur gesehen: So geht es nicht, und das ist ungerecht, um es ganz simpel zu sagen. Die hatten einfach einen gewissen Gerechtigkeitssinn.
Das waren zum Beispiel U-Bahn-Fahrer, die vorbei fuhren, die Lichter an- und ausmachten oder hupten. Das war schon äußerst beeindruckend, wenn man in dieser Kirche mit ein paar tausend Leuten war, wenn die Andacht vorbei war, der politische Teil der Andacht vorbei war, und die Leute rausgingen. Dann fuhr da die U-Bahn lang, ja, das war schon beeindruckend. In den Fenstern standen Kerzen, als Zeichen der Solidarität. Die Fleischer, Kneipiers, Gewerbetreibenden, die dort ihre Läden hatten, die versorgten uns mit Essen und Getränken. Und die Anwohner brachten alles Mögliche, was man zum Leben braucht.
Von den bekannteren Oppositionellen war keiner dabei. Die waren ja alle damit beschäftigt, irgendwelche Grüppchen, Gruppierungen, Parteien und Initiativen zu gründen. Das hatte alles seine Berechtigung, das griff alles ineinander. Das war jetzt nicht negativ gemeint – sie hatten alle irgendetwas anderes zu tun.
Damals habe ich das ein bisschen anders gesehen, ich habe mich geärgert, dass sie nicht mal vorbeikamen. Ulrike Poppe war öfter da, was insofern ganz gut war, als wir keine Medienerfahrung hatten, so wie zum Beispiel Bärbel Bohley oder Ulrike Poppe oder Werner Fischer. Wir haben da Interviews gegeben wie blöde. Im Zehnminutentakt haben wir Interviews gegeben, die Medien waren ja weltweit vertreten. Wir waren Tag und Nacht dort. Das hatte schlicht und ergreifend einen Hintergrund: Wenn wir die Kirche verlassen hätten, wären wir nicht wieder zurückgekommen. Als Organisator wirst du halt mal hopps genommen. Und dann bist du weg vom Fenster.“
Frank Ebert, Zeitzeuge auf www.jugendopposition.de