Abschrift
In West-Berlin habe ich als Kontaktstelle angefangen. Angefangen, die Informationen aus dem Osten zur West-Presse zu organisieren. Es war natürlich nicht einfach, von West-Berlin aus Kontakt mit den Leuten in der DDR zu haben. Ich musste da ein ganzes Netzwerk von geheimen Kurieren aufbauen, die zwischen Ost und West hin und her gingen und Briefe, verbotene Bücher und Druckmaschinen transportierten. Das waren vorwiegend Diplomaten. Das waren Bundestagsabgeordnete, speziell der Grünen, das waren auch ganz normale Touristen. Gerade das Zusammenspiel zwischen Ost und West hat es möglich gemacht, dass eine Öffentlichkeit geschaffen worden ist. Dass die Öffentlichkeit auf die Verhaftungen in der Umwelt-Bibliothek, in der Zionskirche reagieren konnte.
Die Proteste, die dann einsetzten – die Mahnwachen, die Gottesdienste, auch die republikweiten Proteste gegen die Inhaftierungen der Mitarbeiter der Umwelt-Bibliothek – haben dazu geführt, dass sie wieder freigelassen worden sind. Deswegen hat man eine Kriminalisierung meiner Person vorgenommen und gesagt: ´So, das ist jetzt ein Agent. Er sitzt in West-Berlin und steuert die Opposition`. Man wollte verhindern, dass das auch in der Zukunft möglich ist. So hat man im Januar '88 die Verhaftungswelle im Zusammenhang mit der Luxemburg-Liebknecht-Demonstration genutzt, ganz gezielt die Leute wegzufangen, die im Osten meine Kontaktpersonen waren. Das heißt, die Ost-West-Kontakte wurden kriminalisiert. Man hat ihnen den Paragraphen ´Agententätigkeit` vor den Kopf geknallt und gesagt: ´Ihr werdet jetzt wegen Agententätigkeit verknackt`.
Ich habe angefangen, noch mehr Videokameras in den Osten zu schicken. Weil ich wusste: Fernsehen, das ist genau das, was wichtig ist, was bis in den Osten reinstrahlen muss, was die Massen erreicht. Und nicht nur die Untergrundpresse, die immer dieselben erreicht. Das Medium Fernsehen wurde für mich immer wichtiger. Ich habe in der Redaktion ´Kontraste` angefangen zu arbeiten, die für die ARD gesendet hat – und versucht, diese illegal gedrehten Videos aus der DDR unterzubringen. Fernsehen hat auch Mut gemacht, endlich auf die Straße zu gehen. Auch die Aufnahmen vom 9. Oktober, von der legendären Demonstration in Leipzig, sind mit einer Videokamera gemacht worden, die ich rübergeschleust habe. Die Freunde haben diese Aufnahmen dort mit viel Mut und Risiko gemacht. Sie wurden in den Westen geschmuggelt, und wir haben sie ausgestrahlt, in die Wohnzimmer der DDR hinein.
In anderen Städten haben sie gesehen: Die Polizei hat nicht zugeschlagen, sie hat die Demonstranten nicht verprügelt. Wir haben eine Chance. Wir müssen auch auf die Straße gehen. Und so gingen sie auch in anderen Städten auf die Straße. Leipzig und diese Bilder haben das Signal dafür geliefert.
Roland Jahn, Zeitzeuge auf www.jugendopposition.de