Abschrift
Wir sind jeden Montag nach Leipzig gefahren. In Berlin stellten wir schon fest, dass wir konspirativ beobachtet worden sind. Die Staatssicherheit war ja nicht so geschickt im Sichverbergen. Vielleicht wollte sie sich auch gar nicht verbergen, sondern Präsenz demonstrieren. Wir haben immer einen Weg gesucht, von Berlin nach Leipzig zu kommen und von Leipzig wieder zurück nach Berlin, um das dort entstandene Aufnahmematerial in Berlin zu übergeben und irgendjemanden nach West-Berlin bringen zu lassen. Das ergab sich jeden Montag anders. Es hatte auch was mit unserer Konspiration zu tun, darauf zu achten. Auch wenn das völlig sinnlos war, weil es im Grunde genommen von der Stasi begleitet wurde.
Es war wichtig, immer wieder einen anderen Weg zu finden, zu improvisieren, nicht jeden Montag den selben Weg von Berlin nach Leipzig zu nehmen. Wir mussten die Autos wechseln, denn man wusste ja, dass ein Auto hinter einem her fährt und guckt, wo man nun hinfährt. Wir haben die PKWs trickreich gewechselt, zum Beispiel in den Hackeschen Höfen. Wir haben solche geographischen Örtlichkeiten dazu genutzt, vorne rein zu rennen, durch die ganzen Höfe durch zu laufen, hinten in ein anderes Auto [zu springen], das da geparkt war, hinten wieder raus zu fahren – und die dann tatsächlich abzuhängen.
Wir haben in Leipzig auch in Privatwohnungen gefragt, ob wir da filmen können. In solchen, die günstig gelegen waren, um Einblick auf den Leipziger Ring zu bekommen. Wir haben geklingelt und mussten oftmals in dem Moment, in dem die Tür aufging entscheiden, ob das Feind oder Freund ist, der da vor einem steht. Dann musste man nötigenfalls sagen: ´Entschuldigung, wir haben uns in der Haustür geirrt`. Wenn eine alte Oma aufmachte, dachte man, der könnte man diese Geschichte erzählen – weil die selbst diese Demonstrationen auch jeden Montag sieht. Möglicherweise würde da eine Bereitschaft da sein, uns in die Wohnung zu lassen, damit wir aus dem Fenster heraus diese Aufnahmen machen konnten.
Diese Solidarität haben wir am Ende sehr häufig vorgefunden. Der Höhepunkt war dann der, dass wir auf die Kirchtürme stiegen, zu denen wir uns mit Hilfe der Pfarrer Zugang verschafft haben. Zugang zu hohen Orten sozusagen, von denen man das Ganze ungestört betrachten konnte. Wenn wir ganz gut drauf waren, haben wir es geschafft, dieses Material bis um 21 Uhr wieder in Berlin abzugeben, so dass man abends noch in den Spätnachrichten die Bilder zeigen konnte. Wir haben die Aufgabe übernommen, Auge und Ohr für die Öffentlichkeit zu werden, in dem Fall tatsächlich für die Weltöffentlichkeit.
Man konnte diese Situation sehr schwer beurteilen. So eine Demonstration, wie sie sich in Leipzig aufgebaut hatte, war ja anfänglich etwas Überschaubares, das nur von der politischen Motivation geprägt war. Doch es entwickelte sich mehr und mehr zu einem Massenphänomen. Man musste diesen Vorgang im Grunde genommen so lange begleiten, bis er eine Größe angenommen hatte, bei der es quasi auf uns nicht mehr ankam. Dann konnten wir das dokumentieren, weil der Vorgang ein Selbstläufer wurde. Und so ist es dann auch gekommen. Als das erste Mal die ´Aktuelle Kamera`, der damalige DDR-Nachrichtensender, auftauchte, da habe ich gesagt: ´Ich glaube, wir können jetzt hier gehen`.
Aram Radomski, Zeitzeuge auf www.jugendopposition.de