Abschrift
Die Friedensgebete in der Leipziger Nikolaikirche wurden von den verschiedenen Umweltgruppen, Friedensgruppen, Menschenrechtsgruppen selbst gestaltet. Das ging ziemlich lange gut. Es gab einen regelmäßigen und öffentlichen Treffpunkt, zu dem jeder kommen konnte. Jeder wusste, wenn er in die Nikolaikirche geht, wird er jemanden finden, der ihm weiterhilft. Egal, ob er Leute sucht, die in der DDR nicht mitspielen wollen, ob er irgendwo ein Flugblatt verbreitet hat, ob er politische Repressionen ertragen hat, ob er selbst oder seine Angehörigen im Gefängnis gelandet sind. Solche Leute wussten: Sie können nach Leipzig fahren.
Dieser Treffpunkt von politisch aktiven Leuten war dem Staat natürlich ein Dorn im Auge. Von daher gab es staatlichen Druck auf die kirchliche Ebene in Sachsen und Leipzig. Die Stadtkirchenleitung wurde gedrückt beziehungsweise angehalten, das doch zu unterbinden. Wir versuchten, bei der Gestaltung der Friedensgebete immer mit Leuten zusammenzuarbeiten, zumindest in unserer Menschenrechtsgruppe, die das Land verlassen wollten. Für uns war klar: Die Gründe, die die Leute bewegt haben, das Land und diese Zustände zu verlassen und nach West-Deutschland zu fliehen, das sind die gleichen Gründe, die uns veranlassen, uns im Land für Veränderungen zu engagieren.
Rainer Müller, Zeitzeuge auf www.jugendopposition.de