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Die Studentenratswahlen von 1947

Vor der im Zweiten Weltkrieg schwer beschädigten Berliner Universität grasen 1945 Kühe.
Vor der im Zweiten Weltkrieg schwer beschädigten Berliner Universität grasen 1945 Kühe.
Quelle: Bundesarchiv/183-D0217-0002-007
Die Studenten müssen in einer zerstörten Stadt für ihre Unterkunft, für Heizung, Strom und Verpflegung sorgen. Die Universitätsgebäude sind teilweise zerstört, es mangelt an Lehrkräften und Büchern. Viele dieser Probleme sind alleine nicht zu...
Die Studenten müssen in einer zerstörten Stadt für ihre Unterkunft, für Heizung, Strom und Verpflegung sorgen. Die Universitätsgebäude sind teilweise zerstört, es mangelt an Lehrkräften und Büchern. Viele dieser Probleme sind alleine nicht zu lösen. Hilfe und Koordinierung bei den Alltagsproblemen bietet der Studentenrat, sodass diesem eine wichtige integrative Funktion zukommt. Im Bild der Wiederaufbau zerstörter Gebäude der Berliner Universität im August 1946. Quelle: Bundesarchiv/183-S74631/Heinscher
Studenten im Dezember 1947 auf dem Weg zur Vorlesung an die Berliner Universität (ab 8. Februar 1949 Humboldt-Universität). Quelle: Bundesarchiv/183-S77804/Walter Heilig
Studenten im Dezember 1947 auf dem Weg zur Vorlesung an die Berliner Universität (ab 8. Februar 1949 Humboldt-Universität). Quelle: Bundesarchiv/183-S77804/Walter Heilig
Anfang Februar 1947 finden in Berlin und an den Universitäten der SBZ freie und geheime Wahlen zu den Studentenräten statt. Die Wahlbeteiligung liegt bei 70 bis 90 Prozent. Zugelassen sind Vertreter der SED, CDU, LDP und parteilose Kandidaten. Die SPD...
Anfang Februar 1947 finden in Berlin und an den Universitäten der SBZ freie und geheime Wahlen zu den Studentenräten statt. Die Wahlbeteiligung liegt bei 70 bis 90 Prozent. Zugelassen sind Vertreter der SED, CDU, LDP und parteilose Kandidaten. Die SPD ist nach der Zwangsvereinigung mit der KPD nur in Berlin zugelassen. Sie wird hier noch vor der SED zur stärksten Partei. Im Bild: der Aufruf des Kulturbundes zur Studentenratswahl an allen Universitäten im Wintersemester 1946/47. Quelle: Studentischer Widerstand an der Universität Leipzig 1945 bis 1955, hrsg. von der Universität Leipzig, 2. Aufl. Beucha 1998, S. 98
Studium ade: Georg Wrazidlo initiiert am 5. Mai 1946 gemeinsam mit 30 Kommilitonen einen öffentlichen Protest gegen das Anbringen von roten Fahnen und SED-Losungen am Berliner Universitätsgebäude. Er wird daraufhin von der Zentralverwaltung für Volksbildung...
Studium ade: Georg Wrazidlo initiiert am 5. Mai 1946 gemeinsam mit 30 Kommilitonen einen öffentlichen Protest gegen das Anbringen von roten Fahnen und SED-Losungen am Berliner Universitätsgebäude. Er wird daraufhin von der Zentralverwaltung für Volksbildung seiner Funktion als Vorsitzender der Studentischen Arbeitsgemeinschaft enthoben. Am 13. März 1947 wird er verhaftet und später von einem Sowjetischen Militärtribunal zu 25 Jahren Zwangsarbeit verurteilt. Nach seiner Entlassung flüchtet er 1956 nach West-Berlin. Quelle: Gedenkstätte Deutscher Widerstand
Studenten der Berliner Universität sammeln Unterschriften gegen das Anbringen von roten Fahnen und SED-Losungen zum 1. Mai 1946 am Hauptgebäude der Berliner Universität. Quelle: Universitätsarchiv der Freien Universität Berlin
Studenten der Berliner Universität sammeln Unterschriften gegen das Anbringen von roten Fahnen und SED-Losungen zum 1. Mai 1946 am Hauptgebäude der Berliner Universität. Quelle: Universitätsarchiv der Freien Universität Berlin
Gefährliches Engagement: Manfred Klein baut zusammen mit Georg Wrazidlo eine starke christdemokratische Hochschulgruppe an der Berliner Universität auf und wird in den ersten Studentenrat gewählt. Zugleich ist er Mitglied im Zentralrat der FDJ. Er...
Gefährliches Engagement: Manfred Klein baut zusammen mit Georg Wrazidlo eine starke christdemokratische Hochschulgruppe an der Berliner Universität auf und wird in den ersten Studentenrat gewählt. Zugleich ist er Mitglied im Zentralrat der FDJ. Er gerät mit der SED über Fragen der Studienzulassung in Konflikt und wird am 13. März 1947 zusammen mit Wrazidlo vom sowjetischen Geheimdienst verhaftet. Manfred Klein wird zu 25 Jahren Lagerhaft verurteilt. Nach seiner Haftentlassung 1956 flieht er nach West-Berlin. Quelle: Gedenkstätte Deutscher Widerstand
Massive Proteste gegen den Wahlmodus: Im Februar 1950 finden an allen DDR-Universitäten erneut Studentenratswahlen statt. Sie gelten vielen Kritikern als Generalprobe für die Volkskammerwahlen im Oktober, weil sie nach einem ähnlichen Muster (Einheitswahl)...
Massive Proteste gegen den Wahlmodus: Im Februar 1950 finden an allen DDR-Universitäten erneut Studentenratswahlen statt. Sie gelten vielen Kritikern als Generalprobe für die Volkskammerwahlen im Oktober, weil sie nach einem ähnlichen Muster (Einheitswahl) organisiert werden. An allen Universitäten empören sich die Studenten, was allerdings nicht verhindern kann, dass die in den ersten Nachkriegsjahren demokratisch gewählte und arbeitende Institution Studentenrat abgeschafft wird. Quelle: Studentischer Widerstand an der Universität Leipzig 1945 bis 1955, hrsg. von der Universität Leipzig, 2. Aufl., Beucha 1998, S. 28
Clevere Mitgliederanwerbung: 1949 schließt sich der Slawistikstudent Roland Bude einer etwa 20 Studenten umfassenden Widerstandsgruppe an der Universität Rostock an. Die Gruppe versucht, den Monopolanspruch der SED im Studentenrat und in der FDJ zu...
Clevere Mitgliederanwerbung: 1949 schließt sich der Slawistikstudent Roland Bude einer etwa 20 Studenten umfassenden Widerstandsgruppe an der Universität Rostock an. Die Gruppe versucht, den Monopolanspruch der SED im Studentenrat und in der FDJ zu unterlaufen, indem sie eigene Leute auf Schlüsselpositionen setzt. Im Bild: das Porträt des 20-jährigen Roland Bude, 1946. Quelle: Robert-Havemann-Gesellschaft

Noch vor der Wiedereröffnung der Universitäten gründen Studenten, die im Widerstand gegen das NS-Regime aktiv waren, den Zentralausschuss der deutschen Studentenschaft beim Magistrat von Berlin. Dieser unabhängige Studentenverband ist den von der KPD beherrschten Jugendausschüssen ein Dorn im Auge. Er wird schon im Oktober 1945 von der sowjetischen Kulturverwaltung wieder aufgelöst. Statt seiner etablieren sich in Berlin und an anderen Universitäten der Sowjetischen Besatzungszone (SBZ) sogenannte Studentische Arbeitsgemeinschaften. Doch auch hier gelingt es der KPD und später der SED nur bedingt, ihren Einfluss geltend zu machen. Trotzdem wird am 1. Mai die Berliner Universität mit roten Fahnen und einer Losung über dem Haupteingang geschmückt. Am 5. Mai 1946 protestieren 30 Verfolgte des Naziregimes gegen die Ausgestaltung der Universität mit „Symbolen einer einzelnen Partei“. Sie müssen die Partei nicht nennen: Es weiß ohnehin jeder, dass sie die SED meinen.

Hunger, Kälte und Not stehen auf der Tagesordnung

Unter den harten Nachkriegsbedingungen müssen die Studenten enorme Schwierigkeiten überwinden und ihr tägliches Überleben sichern. Sie müssen in einer zerstörten Stadt für ihre Unterkunft, für Heizung, Strom und Verpflegung sorgen. Die Universitätsgebäude sind teilweise zerstört, und es mangelt an Lehrkräften und Büchern. Viele dieser Probleme können sie alleine nicht lösen. Hilfe und Koordinierung bei den Alltagsproblemen bietet der Studentenrat, so dass ihm eine wichtige integrative Funktion zukommt.

Anfang Februar 1947 finden in Berlin und an den Universitäten der SBZ freie und geheime Studentenratswahlen statt. Ausnahme: die Universität Rostock, die wegen Kohlemangels geschlossen ist. Die Wahlbeteiligung liegt bei 70 bis 90 Prozent. Zugelassen sind Vertreter der SED, CDU, LDP und parteilose Kandidaten (Bildergalerie). Die SPD ist nach der Zwangsfusion mit der KPD nur in Berlin zugelassen. Hier erringt sie mit 17,9 Prozent fünf von 28 Mandaten und liegt damit als stärkste Partei vor der SED und der CDU, die jeweils nur 10,7 Prozent erhalten.

In Leipzig, Jena und Greifswald wird die SED zwar stärkste Partei, erhält aber nicht die absolute Mehrheit. Lediglich in Halle geht die SED mit 52,4 Prozent als klarer Sieger hervor. So existiert nach den Studentenratswahlen an fast allen Universitäten der Sowjetzone eine nichtkommunistische Mehrheit. Zu Vorsitzenden der Studentenräte werden, außer in Halle, erklärte Gegner der SED gewählt.

Auf politisches Engagement stehen 25 Jahre Zwangsarbeit

Diese politischen Mehrheiten an den Universitäten kann die machtbewusste SED nicht akzeptieren. Im März 1947 verhaften die sowjetischen Behörden Georg Wrazidlo und Manfred Klein, zwei christdemokratische Studentenvertreter der Berliner Universität, sowie die parteilose Studentin Gerda Rösch, die im Zulassungsbüro arbeitet (Bildergalerie). Der Studentenrat protestiert, kann aber nichts erreichen. Selbst ein ordentliches Gerichtsverfahren bleibt den drei Beschuldigten versagt. Sie werden im Dezember 1947 vom Sowjetischen Militärtribunal Berlin-Lichtenberg zu jeweils 25 Jahren Zwangsarbeit verurteilt. Der absurde Vorwurf lautet „Bildung einer faschistischen Untergrundorganisation an der Universität Berlin“ und „Spionage“. Rösch, Klein und Wrazidlo kommen erst 1956 wieder frei.

Zu einer besonderen Entwicklung kommt es an der Universität Rostock. Dort versuchen überwiegend parteilose Studenten, den Monopolanspruch der SED im Studentenrat und in der FDJ zu unterlaufen. Unter ihnen ist der 23-jährige Slawistikstudent Roland Bude, der Mitglied im Studentenrat und 1949 zeitweise auch Vorsitzender der FDJ-Hochschulgruppenleitung ist (Bildergalerie). Die Studenten versuchen, die Kommilitonen, die der SED fern stehen, zum Eintritt in die FDJ zu bewegen. So gelingt es der Gruppe zeitweilig, entscheidende Positionen innerhalb der FDJ zu besetzen, um somit Einfluss auf wichtige Entscheidungen zu nehmen: zum Beispiel auf die Vergabe von Stipendien. Am 13. Juli 1950 wird Roland Bude durch die Staatssicherheit verhaftet und von einem Sowjetischen Militärtribunal zu zweimal 25 Jahren Zwangsarbeitslager verurteilt. (Über die Arbeit der Widerstandsgruppe an der Universität Rostock und über seine Gefangenschaft in der Sowjetunion berichtet Roland Bude im Zeitzeugen-Interview.)

In Leipzig wird Wolfgang Natonek zu einer herausragenden Figur des studentischen Widerstands gegen die Alleinherrschaft der SED. Er ist der Sohn des antifaschistischen Schriftstellers Hans Natonek, der 1933 von den Nazis ins Exil getrieben wurde. Die Familie bleibt in Deutschland. Wolfgang Natonek unterliegt als „Halbjude“ zahlreichen Schikanen. Nach Kriegsende studiert er in Leipzig Anglistik, Germanistik, Geschichte und Philosophie. 1945 tritt er mit 25 Jahren der LDP bei und gründet wenig später die Liberaldemokratische Hochschulgruppe der Universität Leipzig.

„Freiheit für die Universitäten!“

Wolfgang Natonek studiert in Leipzig und setzt sich für eine Wissenschaft ein, die frei von jeder ideologischen Beeinflussung ist. Daraufhin gerät er in Konflikt mit der SED. Am 11. November 1948 wird er vom sowjetischen Geheimdienst verhaftet und zu...
Wolfgang Natonek studiert in Leipzig und setzt sich für eine Wissenschaft ein, die frei von jeder ideologischen Beeinflussung ist. Daraufhin gerät er in Konflikt mit der SED. Am 11. November 1948 wird er vom sowjetischen Geheimdienst verhaftet und zu 25 Jahren Zwangsarbeit verurteilt. Nach seiner Entlassung 1956 flüchtet er in die Bundesrepublik. Quelle: Gedenkstätte Deutscher Widerstand
Wolfgang Natonek studiert in Leipzig und setzt sich für eine Wissenschaft ein, die frei von jeder ideologischen Beeinflussung ist. Daraufhin gerät er in Konflikt mit der SED. Am 11. November 1948 wird er vom sowjetischen Geheimdienst verhaftet und zu...
Wolfgang Natonek studiert in Leipzig und setzt sich für eine Wissenschaft ein, die frei von jeder ideologischen Beeinflussung ist. Daraufhin gerät er in Konflikt mit der SED. Am 11. November 1948 wird er vom sowjetischen Geheimdienst verhaftet und zu 25 Jahren Zwangsarbeit verurteilt. Nach seiner Entlassung 1956 flüchtet er in die Bundesrepublik. Quelle: Gedenkstätte Deutscher Widerstand

Nach den ersten Studentenratswahlen am 6. Februar 1947 wird Wolfgang Natonek Vorsitzender des studentischen Selbstverwaltungsgremiums. Der SED ist der rhetorisch begabte und unter den Studenten beliebte Natonek ein Dorn im Auge (Bildergalerie). Im Vorfeld der zweiten Studentenratswahlen beginnt die SED-Presse eine Hetzkampagne gegen ihn. Sie kann es dennoch nicht verhindern, dass Natonek auch vom zweiten Studentenrat im Dezember 1947 zum Vorsitzenden gewählt wird. Auf dem Wartburgfest der deutschen Studenten zu Pfingsten 1948 hält er eine viel beachtete Rede. Auch auf Parteitagen der LDP tritt Natonek für die Freiheit der Universitäten ein.

Die Besatzungsmacht und die SED wollen um jeden Preis eine dritte Wiederwahl Natoneks bei den im Dezember 1948 anstehenden Neuwahlen verhindern. Am 11. November 1948 verhaften ihn die sowjetischen Behörden. Ein Militärtribunal verurteilt Wolfgang Natonek zu 25 Jahren Zwangsarbeit. Mit ihm werden mindestens zehn weitere Mitglieder der bürgerlichen Hochschulgruppen festgenommen und teilweise zu hohen Haftstrafen verurteilt. Wie zuvor in Halle geschehen, wird die LDP-Hochschulgruppe in Leipzig verboten. Den 600 Mitgliedern wird das Stipendium, das allen Studierenden entsprechend ihrer sozialen Situation zusteht, willkürlich entzogen.

Bei den dritten Studentenratswahlen 1948/49 kann die SED durch vorherige Verhaftungen, Relegationen, Stipendienentzug, Drohungen und andere Repressionen die absolute Mehrheit für sich durchsetzen. Die gleichgeschalteten Studentenräte führen fortan ein Schattendasein und werden 1952 endgültig aufgelöst.



Wie Studierende in Berlin die Gründung einer neuen Universität fordern, lesen Sie hier: Gründung der Freien Universität

Zitierempfehlung: „Die Studentenratswahlen von 1947“, hrsg. v. Bundeszentrale für politische Bildung und Robert-Havemann-Gesellschaft e.V., letzte Änderung Dezember 2019, www.jugendopposition.de/145346

 


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