Im offiziellen Sprachgebrauch der DDR sind westliche Begriffe unerwünscht. So sollen die Jugendlichen zu einer Tanzveranstaltung statt zu einer Disko gehen, und die Musik wird von einem Plattenunterhalter statt von einem Diskjockey gemacht. Diese Sprachregelung hat sich allerdings bei den DDR-Jugendlichen nie durchgesetzt. Für die Jugendlichen bleibt es bei Disko und DJ. Im Bild eine "Tanzveranstaltung" in einem Lehrlingsinternat in Jördenstorf in der Nähe von Neubrandenburg, 17. August 1978. Quelle: Bundesarchiv/183-T0617-001/Link
Mit der Ausbürgerung von Wolf Biermann im November 1976 beginnt eine neue kulturpolitische Eiszeit in der DDR. Der bis dahin relativ unbekannte Liedermacher wird über Nacht zur bekannten Persönlichkeit. Viele Jugendliche besorgen sich Mitschnitte seiner Lieder und vervielfältigen seine Texte, die unter der Hand weitergereicht werden. Quelle: Robert-Havemann-Gesellschaft / RHG_Fo_HAB_14883
Der PM 12 wird anstelle des Personalausweises ausgegeben, wenn dieser aus meist politischen Gründen eingezogen wird. Der Besitzer eines PM 12 ist faktisch vorverurteilt: Er muss sich regelmäßig auf dem Revier der Volkspolizei melden, darf in vielen Fällen die Stadt nicht verlassen und nicht ins Ausland reisen. Ein Original des Dokuments ist im Mauermuseum am Checkpoint Charlie in Berlin ausgestellt. Quelle: Robert-Havemann-Gesellschaft / RHG_Fak_0308
Plakat zu Martin Scorseses Konzertfilm über das Abschiedskonzert der legendären Rockband The Band vom 25. November 1976. Quelle: Bundesarchiv/Filmarchiv
Die Romanfassung des Theaterstücks „Die neuen Leiden des jungen W.“ wird in der DDR zum Bestseller. Da der Verlag die Nachfrage nicht befriedigen kann, werden Autorenlesungen veranstaltet und die raren Exemplare im Foyer verkauft. Im Bild: die Autoren Ulrich Plenzdorf (l.) und Klaus Schlesinger am 11. Mai 1973 auf der Bühne des Filmtheaters Kosmos. Quelle: Archiv StAufarb, Bestand Klaus Mehner, 73_0511_KUL_Plenzdorf_01
Im offiziellen Sprachgebrauch der DDR sind westliche Begriffe unerwünscht. So sollen die Jugendlichen zu einer Tanzveranstaltung statt zu einer Disko gehen, und die Musik wird von einem Plattenunterhalter statt von einem Diskjockey gemacht. Diese Sprachregelung hat sich allerdings bei den DDR-Jugendlichen nie durchgesetzt. Für die Jugendlichen bleibt es bei Disko und DJ. Im Bild eine "Tanzveranstaltung" in einem Lehrlingsinternat in Jördenstorf in der Nähe von Neubrandenburg, 17. August 1978. Quelle: Bundesarchiv/183-T0617-001/Link
Mit der Ausbürgerung von Wolf Biermann im November 1976 beginnt eine neue kulturpolitische Eiszeit in der DDR. Der bis dahin relativ unbekannte Liedermacher wird über Nacht zur bekannten Persönlichkeit. Viele Jugendliche besorgen sich Mitschnitte seiner Lieder und vervielfältigen seine Texte, die unter der Hand weitergereicht werden. Quelle: Robert-Havemann-Gesellschaft / RHG_Fo_HAB_14883
Der PM 12 wird anstelle des Personalausweises ausgegeben, wenn dieser aus meist politischen Gründen eingezogen wird. Der Besitzer eines PM 12 ist faktisch vorverurteilt: Er muss sich regelmäßig auf dem Revier der Volkspolizei melden, darf in vielen Fällen die Stadt nicht verlassen und nicht ins Ausland reisen. Ein Original des Dokuments ist im Mauermuseum am Checkpoint Charlie in Berlin ausgestellt. Quelle: Robert-Havemann-Gesellschaft / RHG_Fak_0308
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1971 löst der ehemalige Vorsitzende der Freien Deutschen Jugend (FDJ) Erich Honecker den greisen Walter Ulbricht an der Spitze der Sozialistischen Einheitspartei (SED) ab. Sein Ausspruch, dass es nicht darauf ankomme, was jemand auf dem Kopf trage, sondern was er im Kopf habe, läutet zu Beginn der 1970er Jahre eine kurze Phase der geistig-kulturellen Entspannung ein. Lange Haare und westliche Modetrends sind nicht mehr so verpönt wie in den 1960er Jahren, als vielerorts langhaarigen Jugendlichen zwangsweise die Haarpracht abgeschnitten wurde.
Plötzlich ist es sogar möglich, relativ unbefangen über die Verhältnisse in der DDR zu diskutieren. In Kulturhäusern finden Veranstaltungen statt, in denen Texte kritischer Schriftsteller gelesen werden. In Jena gründet Lutz Rathenow den Arbeitskreis für Literatur und Lyrik, in dem Jugendliche erste Kontakte mit bisher verbotener Literatur bekommen. Die Liedermacherin Bettina Wegner organisiert in Berliner Jugendklubs die Veranstaltungsreihe „Eintopp“ mit kritischen Liedern und lyrischen Texten.
Ein Ereignis der Superlative: Vom 28. Juli bis zum 5. August 1973 finden in Ost-Berlin die X. Weltfestspiele der Jugend und Studenten statt. Neun Tage herrscht eine Art Ausnahmezustand in Berlin. Rund acht Millionen Menschen kommen in Berlin zusammen, darunter über 25.000 ausländische Schüler und Studenten aus 140 Ländern. Von über 90 Bühnen ertönt Musik, vom politischen Lied bis zur Beat- und Rockmusik ist alles vertreten. Die Jugendlichen diskutieren und feiern miteinander bis in die frühen Morgenstunden. Und doch guckt die Stasi ganz genau hin: Die X. Weltfestspiele werden bereits im Vorfeld von einer massiven Einschüchterungs- und Festnahmewelle begleitet.
Unter Erich Honeckers Regie wird die FDJ Anfang der 1970er Jahre noch enger an die SED angebunden. Die Jugend der DDR soll den Marxismus-Leninismus als einzig wahre Weltanschauung begreifen. Schüler und Studenten werden mit platten und unverständlichen Politphrasen bombardiert. Sie lernen sie zwar auswendig, verinnerlichen sie aber nicht.
Musik, Literatur, Theater: Ein Hauch von Fernweh und Rebellion
Das staatliche Freizeitangebot bleibt derweil weit hinter den Bedürfnissen der Jugend zurück. 60 Prozent der in den Diskotheken und bei Tanzveranstaltungen gespielten Musik muss aus sozialistischen Ländern kommen. Dabei orientieren sich die Jugendlichen viel lieber an westlichen Musik- und Modetrends.
Platten westlicher Rock- und Popidole finden ihren Weg über Verwandte und Bekannte aus der Bundesrepublik in die DDR, wo sie für 100 Mark oder mehr weiterverkauft werden. Bands wie die Rolling Stones, Deep Purple oder Led Zeppelin stehen hoch im Kurs. Abgeschriebene Texte und zigfach kopierte Tonbänder sind begehrt und werden von Hand zu Hand gereicht.
Mitte der 1970er Jahre erreicht die Tramperbewegung in der DDR ihren Höhepunkt. Die Tramper, Blueser oder Kunden, wie sie sich selbst nennen, sind die ostdeutsche Variante der westlichen Blumenkinder. Sie leben die aus dem Westen herübergeschwappten Ideale von Love and Peace und versuchen, der spießbürgerlichen Enge des DDR-Alltags zu entkommen. Dabei riskieren sie ständig einen Konflikt mit der Staatsmacht.
Die Musik verbindet alle in der Szene: An den Wochenenden trifft man sich in den Tanzsälen der Provinz bei Konzerten von Engerling, Monokel, Jürgen Kerth oder Renft, die in ihren Liedtexten teils unverhohlen die verordnete sozialistische Moral ablehnen.
Alles, was den Hauch von Fernweh und Rebellion an sich hat, wird von Tausenden Jugendlichen begeistert aufgenommen. Bücher wie J. D. Salingers „Der Fänger im Roggen“, „Unterwegs“ von Jack Kerouac oder Hermann Hesses „Steppenwolf“ verschlingen auch die Jugendlichen in der DDR.
Auf Flower Power folgt eine neue kulturpolitische Eiszeit
1972 wird in Halle an der Saale das Bühnenstück „Die neuen Leiden des jungen W.“ von Ulrich Plenzdorf uraufgeführt. Das Theaterstück ist im Jargon der DDR-Jugend geschrieben und beschreibt die tragische Geschichte eines Lehrlings, der versucht, aus seiner kleinbürgerlichen Welt auszubrechen, um sich selbst zu verwirklichen. Es wird zu einem großen Erfolg, und die 1973 erscheinende Romanfassung ist besonders unter Jugendlichen beliebt.
Zu einem Kassenschlager an den ostdeutschen Kinos entwickelt sich der amerikanische Film „Blutige Erdbeeren“, der von seiner ergreifenden Handlung und mitreißenden Musik lebt. Wegen der Songs von Größen wie Crosby, Stills, Nash & Young, Joni Mitchell und nicht zuletzt John Lennon wird der Film unter den ostdeutschen Jugendlichen zum Kult.
Mitte der 1970er Jahre zieht die SED-Führung die Zügel in der Jugend- und Kulturpolitik wieder straffer an. Der von Lutz Rathenow in Jena geleitete Arbeitskreis "Literatur und Lyrik" wird 1975 von den staatlichen Organen ebenso verboten wie die Veranstaltungsreihe „Eintopp“ von Bettina Wegner im Ostberliner Haus der Jungen Talente. Mit dem Verbot der Klaus Renft Combo Ende September 1975 und der Ausbürgerung des Liedermachers Wolf Biermann im November 1976 beginnt eine neue kulturelle Eiszeit in der DDR.
Zitierempfehlung: „Jugendkultur“, hrsg. v. Bundeszentrale für politische Bildung und Robert-Havemann-Gesellschaft e.V., letzte Änderung Dezember 2019, www.jugendopposition.de/145340
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Ich erinnere mich, ein Lied fängt so an: ´Manchmal fällt auf uns der Frost und macht uns hart`. Da sagte der bei Amiga gleich: ´Jaja, manchmal fällt auf uns ein Plenum und macht uns hart`. An so was hatten wir gar nicht gedacht, ich weiß nicht, wie die drauf kamen. Ich hatte mit Gerulf ein Lied, das war der Bruchpunkt, wo wir zum ersten Mal gesagt haben: ´Wir machen das jetzt so wie es ist, oder wir lassen es sein`. Wo die sich sehr gewundert haben, weil sie das nicht gewohnt waren.
Da ging es um einen Lehrling, der nicht gern zu seiner Arbeit geht. Der wünscht sich immer eine Sonne, die unter die Haut geht. Und da kam im Refrain Bob Dylan vor. Eine Sonne, die unter die Haut geht, die Stimme von Bob Dylan. Dann hieß es: ´Bob Dylan geht nicht`. Abgesehen davon, dass die Drehmaschine alt und der Lehrer stinkig drauf ist. Das ging alles schon mal nicht, aber am meisten eben, dass Bob Dylan noch lebt. Das war das ganz große Problem. Denn man weiß ja nicht, was der morgen über die DDR sagt. Wenn überhaupt, dann besser einen bereits gestorbenen Rockmusiker nehmen und in den Text einsetzen. Da haben wir uns einfach geweigert.
Dann sollte es ein letztes Vorspiel mit der Band geben. Wir sollten die Texte vorher einreichen. Das haben wir abgelehnt, weil wir dieses Theater schon kannten. Wenn sie die erste Zeile lesen, sagen sie: ´Nee, das findet nicht statt`. Die sollten sich das ruhig mal anhören. Dabei mit unserem Lärm. Die haben in Leipzig ein großes Clubhaus gemietet, und da haben wir unsere Anlage aufgebaut. Da war eine Kommission von zwölf Leuten, glaube ich. Lauter so wichtige Menschen, weiß der Himmel. Auch Musikerkollegen, erstaunlicherweise, die was dazu sagen sollten. Und wegen der besseren Verständlichkeit, haben die dann gesagt, wollen sie doch die Texte gerne vorliegen haben, wenn das Konzert stattfindet. Ein Blick auf die Texte und dann brauchten sie erst gar nicht anfangen. Dann war alles gleich wieder erledigt.
Frage: Sie kamen also gar nicht mehr zum Vorspiel?
Nee.
Frage: Und dann kam von offizieller Seite das Spielverbot, das Auftrittsverbot?
Gleich bei dieser Gelegenheit. Da war die entsprechende Madame da, die das leitete. Die hatte vorher schon, wie ich inzwischen weiß, viel mit höheren Stellen korrespondiert. Die saß dieser Kommission vor. Ich glaube, die [Musiker] hatten gar keine Chance. Es wäre nur schön gewesen, wenn irgendwer von den Musikerkollegen aufgestanden wäre und gesagt hätte: ´Ich habe nichts gehört, und ich sage auch nichts dazu`. Nein, die Kommission hat einstimmig geschlossen gesagt, dass sie uns das gar nicht erst vorspielen brauchen. Wir würden die Arbeiterklasse beleidigen.
Christian Kunert, Zeitzeuge auf www.jugendopposition.de