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Proteste in Jena

Jena 1973. Die Stadt ist durch den Großbetrieb Carl Zeiss Jena und die Friedrich-Schiller-Universität geprägt. Quelle: Bildarchiv Foto Marburg
Jena 1973. Die Stadt ist durch den Großbetrieb Carl Zeiss Jena und die Friedrich-Schiller-Universität geprägt. Quelle: Bildarchiv Foto Marburg
Eine der vielen Veranstaltungen in den Räumen der Jungen Gemeinde Jena-Stadtmitte um 1973/74. Quelle: Robert-Havemann-Gesellschaft
Eine der vielen Veranstaltungen in den Räumen der Jungen Gemeinde Jena-Stadtmitte um 1973/74. Quelle: Robert-Havemann-Gesellschaft
Eine der vielen Veranstaltungen in den Räumen der Jungen Gemeinde Jena-Stadtmitte um 1973/74. Quelle: Robert-Havemann-Gesellschaft
Eine der vielen Veranstaltungen in den Räumen der Jungen Gemeinde Jena-Stadtmitte um 1973/74. Quelle: Robert-Havemann-Gesellschaft
Mitglieder der Jungen Gemeinde Jena-Stadtmitte treffen sich am 1. Mai 1975 auf dem Alten Markt. Quelle: Robert-Havemann-Gesellschaft/Hans-Helmut Kurz
Mitglieder der Jungen Gemeinde Jena-Stadtmitte treffen sich am 1. Mai 1975 auf dem Alten Markt. Quelle: Robert-Havemann-Gesellschaft/Hans-Helmut Kurz
Brutaler Überfall: Am 18. Januar 1975 zerschlägt die Polizei eine Verlobungsfeier in der Jenaer Gartenstraße 7, einem von Jugendlichen besetzten Abrisshaus. Dabei werden 15 Jugendliche vorläufig festgenommen. Als einige von ihnen sich über die Brutalität...
Brutaler Überfall: Am 18. Januar 1975 zerschlägt die Polizei eine Verlobungsfeier in der Jenaer Gartenstraße 7, einem von Jugendlichen besetzten Abrisshaus. Dabei werden 15 Jugendliche vorläufig festgenommen. Als einige von ihnen sich über die Brutalität der Polizei beschweren und Berichte an die Lokalzeitung sowie den Staatsrat schicken, werden vier im Schnellverfahren abgeurteilt. Deren Freunde sammeln an den Wochenenden Geld für die Gerichtskosten der Inhaftierten – zum Beispiel beim Weidenrutenschneiden im Februar 1975 in Dornburg. Quelle: Robert-Havemann-Gesellschaft/Hans-Helmut Kurz
Weidenrutenschneiden für politische Gefangene in der DDR: Doris Hardekopf und Lutz Leibner im Februar 1975 in Dornburg. Das bei diesem Solidaritätseinsatz verdiente Geld wird für die Gerichtskosten der inhaftierten Freunde verwendet. Quelle: Robert-Havemann-Gesellschaft/Hans-Helmut...
Weidenrutenschneiden für politische Gefangene in der DDR: Doris Hardekopf und Lutz Leibner im Februar 1975 in Dornburg. Das bei diesem Solidaritätseinsatz verdiente Geld wird für die Gerichtskosten der inhaftierten Freunde verwendet. Quelle: Robert-Havemann-Gesellschaft/Hans-Helmut Kurz
Mitglieder der Jungen Gemeinde Jena-Stadtmitte 1976 beim Landesjugendsonntag der Evangelischen Kirche im Falkhofsaal in Eisenach. Quelle: Robert-Havemann-Gesellschaft/Lutz Reimer
Mitglieder der Jungen Gemeinde Jena-Stadtmitte 1976 beim Landesjugendsonntag der Evangelischen Kirche im Falkhofsaal in Eisenach. Quelle: Robert-Havemann-Gesellschaft/Lutz Reimer
Als Anwalt arbeitet Wolfgang Schnur unter anderem als Rechtsbeistand für Dissidenten, Bürgerrechtler und Wehrdienstverweigerer in der DDR. Er vertritt auch die Jugendlichen aus Jena und Umgebung, die 1976 gegen die Ausbürgerung des Liedermachers Wolf...
Als Anwalt arbeitet Wolfgang Schnur unter anderem als Rechtsbeistand für Dissidenten, Bürgerrechtler und Wehrdienstverweigerer in der DDR. Er vertritt auch die Jugendlichen aus Jena und Umgebung, die 1976 gegen die Ausbürgerung des Liedermachers Wolf Biermann protestiert haben und vom Staatssicherheitsdienst verhaftet worden sind. Im März 1990 wird bekannt, dass Wolfgang Schnur unter den Decknamen IM Torsten und IM Dr. Ralf Schirmer von 1965 an als Spitzel für den Staatssicherheitsdienst der DDR gearbeitet hat. Rechtsanwalt Wolfgang Schnur im Februar 1990. Quelle: Archiv StAufarb, Bestand Klaus Mehner, 90_0202_POL_Parteien_DA_03
Das Hauptgebäude der Friedrich-Schiller-Universität Jena, Mitte der 1970er Jahre.
Das Hauptgebäude der Friedrich-Schiller-Universität Jena, Mitte der 1970er Jahre.
Quelle: Robert-Havemann-Gesellschaft

In den 1970er Jahren entwickelt sich eine aktive oppositionelle Jugendszene in der Universitätsstadt Jena. Man trifft sich in der evangelischen Jungen Gemeinde Stadtmitte oder privat. Man organisiert Lesekreise, in denen vor allem Jugendliche über die Veränderung der Gesellschaft diskutieren.

Die Nachricht von Wolf Biermanns Ausbürgerung verbreitet sich wie ein Lauffeuer in der Jenaer Szene. Am Abend des 16. November 1976 treffen sich 24 Jugendliche, sehen ungläubig die Meldung in der Tagesschau und wollen am liebsten sofort etwas unternehmen. Aber was? Wolf Biermann ist den meisten von ihnen ein Begriff. Während der Jahre seines Auftrittsverbots hat er in Jena schon in einer Privatwohnung seine Lieder vorgetragen und mit den Leuten über die Situation in der DDR diskutiert.

Am 17. November 1976 findet eine Lesung des Schriftstellers Jurek Becker im Jenaer Klub der Intelligenz statt. Im Publikum sind viele junge Leute. Gespannt warten alle darauf, was Jurek Becker zur Ausbürgerung sagen wird. Der Literat berichtet gleich zu Beginn der Lesung über die „Erklärung der Berliner Künstler vom 17.11.1976“, von der er selbst erst kurz zuvor am Telefon erfahren hat. Es kommt zu einer angeregten Debatte und zu spontanen Solidaritätserklärungen. Plötzlich wird aus der Lesung eine politische Veranstaltung. Der offizielle Veranstalter bekommt Angst und bricht nach wenigen Minuten die Diskussion ab. Er schickt alle Gäste nach Hause.

In Jena regt sich spontaner Widerstand – nicht ohne Folgen

Es sind die Mitglieder der Jungen Gemeinde Stadtmitte und ihre Freunde, die am kommenden Tag einen Protest in Jena organisieren. Sie schreiben den Offenen Brief der Künstler ab und sammeln Unterschriften, um eine Rücknahme der Ausbürgerung zu bewirken. Sofort haben sie die Folgen ihrer mutigen Aktionen zu tragen: Noch in der Nacht zum 19. November werden sie durch einen Spitzel in den eigenen Reihen verraten – und viele von ihnen werden verhaftet.

Als Reaktion auf das harte Eingreifen des Staates formiert sich erneuter Widerstand. Diesmal engagieren sich auch Menschen, die bisher nicht zur Jenaer Szene gehörten: Künstler, Studenten, Schüler, Mitglieder der Kirche und nicht konfessionell gebundene Menschen. Mit Protestbriefen und Unterschriftenaktionen versuchen sie, auf das geschehene Unrecht aufmerksam zu machen. Matthias Domaschk und andere Mitglieder der Jungen Gemeinde sammeln bei Bekannten in der ganzen DDR Geld, um die Anwaltskosten zu bezahlen.

Unterstützt werden sie dabei vom „Schutzkomitee Freiheit und Sozialismus“ in West-Berlin. Dieses Komitee wurde von Hannes Schwenger als Reaktion auf die Verhaftung von Jürgen Fuchs, Gerulf Pannach und Christian Kunert initiiert. Zu den Mitgliedern gehören zahlreiche Prominente aus Westdeutschland und Westeuropa, unter anderem Max Frisch, Heinrich Böll und Alice Schwarzer. Auf Initiative einiger Jenenser organisiert das Schutzkomitee zum Beispiel Postkartenaktionen und sorgt so dafür, dass die Verhafteten auch im Westen nicht in Vergessenheit geraten.

Mit ihrem harten Schlag gegen die Junge Gemeinde gelingt es der Stasi nicht, den Widerstand in Jena auszulöschen. Wie die Ereignisse Anfang der 1980er Jahre zeigen, entfacht sie ihn geradezu.

Zitierempfehlung: „Proteste in Jena“, hrsg. v. Bundeszentrale für politische Bildung und Robert-Havemann-Gesellschaft e.V., letzte Änderung Dezember 2019, www.jugendopposition.de/145336


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