Abschrift
Der September war ja schon die Zeit der Vorbereitung auf den 40. Jahrestag der DDR. Wir wussten natürlich, dass die SED noch einmal versuchen würde, als wäre alles normal, dieses runde Jubiläum zu feiern, und haben dann unser Gegenprogramm entwickelt. Das sah zunächst einmal so aus, dass wir am Vorabend dieses 40. Jahrestages in der Erlöserkirche in Berlin-Lichtenberg eine große Veranstaltung gemacht haben unter dem Titel „Wie nun weiter DDR?“. Die fand ungefähr gleichzeitig mit dem Fackelzug statt, den die SED traditionell am Vorabend dieses Jahrestags veranstaltet hatte. Im Mittelpunkt des Abends standen zwei Dinge: Zum einen wurde ein Aufruf verlesen der ganzen Oppositionsgruppen, in dem wir freie Wahlen unter Aufsicht der UNO gefordert hatten. Das war schon eine sehr explizite politische Forderung, die wir so geschlossen und so eindeutig vorher noch nicht aufgestellt hatten. Das Zweite war eine kleine Künstlergruppe, die Musik machte, Sketsche usw. Die hatten ein Programm, das unter dem Titel lief – das passte an dem Abend so gut – „Morgen hauen wir auf die Pauke“. Und es gab eine überfüllte Kirche. Ich hab eine ganz wunderbare, energiegeladene Stimmung in Erinnerung, aber eben auch immer gemischt mit Unsicherheit und der Angst, was wird. Das war der 6. Oktober. Ja, und am 7. gings dann richtig los.
Am Nachmittag, glaube ich, ging das am Alexanderplatz los, und natürlich bekamen wir telefonisch sofort Informationen darüber. Die Demonstranten brachen ja dann auf in Richtung Gethsemanekirche. Die war sowieso schon Abend für Abend voll in dieser Zeit. Und eine Mahnwache gab es dort. Und es gab eine Gruppe von jungen Leuten, die im Altarraum Lager aufgebaut hatten, einen Hungerstreik begonnen hatten und dort immer 24 Stunden am Tag waren. Das war wirklich ein Treffpunkt. Überall hingen Zettel mit irgendwelchen Informationen. Wer was wissen wollte, ging erst mal zur Gethsemanekirche hin. Deswegen war es für die Demonstranten auch naheliegend, irgendwann dahin aufzubrechen. Als sie sich dann der Gethsemanekirche näherten, griffen die Sicherheitskräfte ein.
Marianne Birthler auf www.jugendopposition.de
Quelle: Robert-Havemann-Gesellschaft