Abschrift
Ich bin mit einem weißen Plakat zum 1. Mai gelaufen und habe das allen gezeigt. Das hat natürlich für Aufsehen gesorgt. Alle haben gezeigt: Ah, guck mal, da. Speziell meine Kommilitonen von der Uni, die mich mit rausgeschmissen hatten, die haben es gesehen. Denen wollte ich das Zeichen setzen: Meinungsfreiheit gibt es nicht. Ich darf nicht sagen, was ich denke. Und trotzdem habe ich gesagt, was los ist im Staate. Das war doppeldeutig. Und viele, viele Menschen haben es gemerkt. Viele haben mir auf die Schulter geklopft. Viele haben gesagt, der spinnt. Aber es hat eine Diskussion losgetreten. Die Stasi konnte nichts machen. Ich habe sie ausgetrickst. Was wollen sie machen? Ein weißes Plakat. Ich konnte damit rumlaufen. Und trotzdem war es ein politisches Zeichen.
Dieser 1. Mai hat mich so empört, weil das ein Tag ist, der eigentlich von allen Diktaturen benutzt wird. Die Menschen passen sich dieser Diktatur an und jubeln den Diktaturen zu. Das hat mich so empört. Unter Hitler sind sie schon marschiert, am 1. Mai, haben zugejubelt. In der Stalinzeit, in der DDR unter Ulbricht, sind sie marschiert und haben zugejubelt. In der scheinbar liberaleren Zeit unter Honecker laufen sie wieder und jubeln. Ich dachte: Da muss man den Leuten mal den Spiegel vorhalten. Dann habe ich mich neben die Ehrentribüne hingestellt, wo die Parteiführung der Stadt Jena stand, und habe sozusagen die Parade mit abgenommen. Auf der einen Seite hatte ich mich geschminkt wie Hitler, Bart und Tolle, und auf der anderen Seite wie Stalin. Die eine Seite braun, die andere leicht grünlich. Das sollte schon ausdrücken: Überlegt euch doch mal, wem ihr zujubelt.
Roland Jahn, Zeitzeuge auf www.jugendopposition.de