Der Beginn der demokratischen Revolution in der DDR ist nicht an einem genauen Datum festzumachen. Zu vielfältig sind die Ereignisse, die schon seit Anfang des Jahres 1989 dazu führen, dass den DDR-Oberen die Zügel aus den Händen gleiten. Dabei sind es maßgeblich zwei Phänomene, die an den Grundfesten des Staates rütteln: zum einen die Fluchtwelle, zum anderen die Protestwelle derjenigen, die auf der Straße „Wir bleiben hier!“ skandieren. Im Verlauf des Spätsommers und Herbstes 1989 werden diese beiden Strömungen zu den treibenden Kräften, die zum Sturz der SED-Herrschaft führen – und damit zur eigentlichen Revolution.
Springt auf! Es geht ein Sonderzug in die Freiheit!
Eines der wichtigsten Ereignisse der Revolution ist die Straßenschlacht um den Dresdner Hauptbahnhof in der Nacht vom 3. zum 4. Oktober 1989. Hunderte DDR-Bürger, die die Prager Botschaft der Bundesrepublik besetzt haben, um ihre Ausreise aus der DDR zu erzwingen, werden in dieser Nacht in Zügen der Deutschen Reichsbahn quer durch die DDR nach Westen gefahren. Die Nachricht wird im West-Fernsehen gesendet und verbreitet sich wie ein Lauffeuer in der ganzen DDR.
Tausende Menschen versammeln sich daraufhin am Dresdner Hauptbahnhof, um auf den Zug nach Westen, den Zug in die Freiheit, aufzuspringen. Es kommt zu einer regelrechten Straßenschlacht zwischen schwer bewaffneter Polizei und meist jugendlichen Demonstranten, die vergeblich versuchen, den Bahnhof zu stürmen. Viele DDR-Bürger sehen in dieser Nacht das erste Mal in ihrem Leben Wasserwerfer und Polizisten mit Helm und Schild.
Am 7. Oktober 1989, dem 40. Jahrestag der DDR, und in den Tagen danach finden Protestdemonstrationen im ganzen Land statt, die größten in Ost-Berlin, Plauen und Leipzig. Die Demonstranten fordern nicht nur Reisefreiheit, sondern eine grundlegende Demokratisierung des Landes mit allen damit verbundenen Folgen. Große Hoffnungen setzen viele Bürger in den Besuch des sowjetischen Staatschefs Michail Gorbatschow, der mit seinen Reformen in der Sowjetunion für viele als Idol gilt.
Die wichtigsten Daten der friedlichen Revolution kann man heute wie folgt umreißen: die Öffnung der ungarischen Grenze zu Österreich, der Aufruf des Neuen Forums am 10. September 1989; die Demonstrationen am 7. Oktober in Berlin, Plauen und anderen Orten, die Montagsdemonstration am 9. Oktober in Leipzig, das Erzwingen der Maueröffnung am 9. November, die ersten Besetzungen von Stasi-Gebäuden in Erfurt, Leipzig, Rostock und Suhl am 4. Dezember; der Beginn der Gespräche am Zentralen Runden Tisch am 7. Dezember in Berlin; die erste freie Wahl am 18. März 1990.
Nicht zu vergessen ist die Bedeutung der vielen Demonstrationen im ganzen Land; ebenso die der Gründung von Bürgerbewegungen, unabhängigen Gewerkschaften, Initiativen in Städten, Kreisen und Dörfern; der vielen regionalen und thematischen Runden Tische; der Einnahme aller Stasi-Objekte und hierbei die Initiative des Volks, sein Schicksal in die eigenen Hände zu nehmen. Einige der wichtigsten Aktionen werden von Jugendlichen organisiert und getragen.
Zitierempfehlung: „Herbst 89“, hrsg. v. Bundeszentrale für politische Bildung und Robert-Havemann-Gesellschaft e.V., letzte Änderung Dezember 2019, www.jugendopposition.de/145318
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Der September war ja schon die Zeit der Vorbereitung auf den 40. Jahrestag der DDR. Wir wussten natürlich, dass die SED noch einmal versuchen würde, als wäre alles normal, dieses runde Jubiläum zu feiern, und haben dann unser Gegenprogramm entwickelt. Das sah zunächst einmal so aus, dass wir am Vorabend dieses 40. Jahrestages in der Erlöserkirche in Berlin-Lichtenberg eine große Veranstaltung gemacht haben unter dem Titel „Wie nun weiter DDR?“. Die fand ungefähr gleichzeitig mit dem Fackelzug statt, den die SED traditionell am Vorabend dieses Jahrestags veranstaltet hatte. Im Mittelpunkt des Abends standen zwei Dinge: Zum einen wurde ein Aufruf verlesen der ganzen Oppositionsgruppen, in dem wir freie Wahlen unter Aufsicht der UNO gefordert hatten. Das war schon eine sehr explizite politische Forderung, die wir so geschlossen und so eindeutig vorher noch nicht aufgestellt hatten. Das Zweite war eine kleine Künstlergruppe, die Musik machte, Sketsche usw. Die hatten ein Programm, das unter dem Titel lief – das passte an dem Abend so gut – „Morgen hauen wir auf die Pauke“. Und es gab eine überfüllte Kirche. Ich hab eine ganz wunderbare, energiegeladene Stimmung in Erinnerung, aber eben auch immer gemischt mit Unsicherheit und der Angst, was wird. Das war der 6. Oktober. Ja, und am 7. gings dann richtig los.
Am Nachmittag, glaube ich, ging das am Alexanderplatz los, und natürlich bekamen wir telefonisch sofort Informationen darüber. Die Demonstranten brachen ja dann auf in Richtung Gethsemanekirche. Die war sowieso schon Abend für Abend voll in dieser Zeit. Und eine Mahnwache gab es dort. Und es gab eine Gruppe von jungen Leuten, die im Altarraum Lager aufgebaut hatten, einen Hungerstreik begonnen hatten und dort immer 24 Stunden am Tag waren. Das war wirklich ein Treffpunkt. Überall hingen Zettel mit irgendwelchen Informationen. Wer was wissen wollte, ging erst mal zur Gethsemanekirche hin. Deswegen war es für die Demonstranten auch naheliegend, irgendwann dahin aufzubrechen. Als sie sich dann der Gethsemanekirche näherten, griffen die Sicherheitskräfte ein.