Die Ausbildung an Schulen und Universitäten in der DDR ist in den 1970er Jahren vollkommen auf die Entwicklung „sozialistischer Persönlichkeiten“ ausgerichtet. Wer einen der begrenzten Abiturplätze bekommen will, muss mit einer strengen politischen Auslese rechnen. Das gilt in noch stärkerem Maße für die Vergabe von Studienplätzen. Vor allem die höheren Bildungseinrichtungen unterstehen einem Kontrollsystem, an dem SED-Mitglieder, FDJler und Lehrer mitwirken. Die Stasi wirbt auch Schüler und Studierende für Spitzeldienste an. Weigern sich die Jugendlichen, Mitschüler oder Kommilitonen zu verpetzen, werden sie vielfach erpresst.
Dennoch kommt es an Schulen und Universitäten immer wieder zum Aufbegehren gegen die SED und den Staat. Auch an der Jenaer Universität, an der Tausende Studierende eingeschrieben sind, wird die Ausbürgerung von Wolf Biermann hinter vorgehaltener Hand heiß diskutiert. Und wieder sind es einige wenige, die es wagen, ihre Meinung öffentlich zu machen. Einer von ihnen ist Roland Jahn, damals 23-jähriger Student der Wirtschaftswissenschaften. (Roland Jahn berichtet im Zeitzeugen-Video über seine Zeit des aktiven Widerstands während und nach dem Studium.)
Ideologische Bestnoten statt Numerus clausus
Am 23. November 1976 kritisiert Roland Jahn in einem Seminar zum Wissenschaftlichen Kommunismus die Ausbürgerung Wolf Biermanns. Ein eifriger Student protokolliert seine Worte mit. Roland Jahn wird zur Universitätsleitung zitiert, die ihm erklärt, dass er mit seiner Unterstützung für Wolf Biermann als Akademiker untauglich sei. Von seinen Mitstudenten bekommt Roland Jahn keine Hilfe. Im Gegenteil: Der zuständige FDJ-Sekretär fordert im Namen der Studentenschaft den Rauswurf des Aufmüpfigen. Im Februar 1977 wird er schließlich von der Universität exmatrikuliert. Die Aufnahme eines Studiums in der DDR ist ihm fortan verwehrt.
Ein ähnliches Schicksal erleiden Lutz Leibner, Lutz Rathenow, Katharina Voigt, Manfred Hildebrandt und Matthias Domaschk. Lutz Leibner (27) ist einer derjenigen, die ihre Unterschrift unter einen Protestbrief gegen die Ausbürgerung setzen. Die Folgen: Er wird von seinem Pädagogik-Fernstudium exmatrikuliert und muss nach einem Disziplinarverfahren seine Arbeit als Erzieher in einem Kinderheim aufgeben.
Ebenfalls vom Studium ausgeschlossen wird Lutz Rathenow (24). Er gehört zu den Ersten, die in Jena Hausdurchsuchungen und Verhöre über sich ergehen lassen müssen. Sein Vergehen: Er hat versucht, Autoren für den Protest gegen die Biermann-Ausbürgerung zu gewinnen. Die Unterstufenlehrerin Katharina Voigt (19) bekommt nach ihrer Beteiligung an der Unterschriftenaktion Berufsverbot.
Matthias Domaschk und Manfred Hildebrandt, beide 19 Jahre alt, werden kurz vor den mündlichen Prüfungen nicht mehr zum Abitur zugelassen. Auch sie hatten gegen die Ausbürgerung unterschrieben beziehungsweise Unterschriften gesammelt.
Zitierempfehlung: „Bildungsverbot für Protestierende“, hrsg. v. Bundeszentrale für politische Bildung und Robert-Havemann-Gesellschaft e.V., letzte Änderung Dezember 2019, www.jugendopposition.de/145384
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Ich bin mit einem weißen Plakat zum 1. Mai gelaufen und habe das allen gezeigt. Das hat natürlich für Aufsehen gesorgt. Alle haben gezeigt: Ah, guck mal, da. Speziell meine Kommilitonen von der Uni, die mich mit rausgeschmissen hatten, die haben es gesehen. Denen wollte ich das Zeichen setzen: Meinungsfreiheit gibt es nicht. Ich darf nicht sagen, was ich denke. Und trotzdem habe ich gesagt, was los ist im Staate. Das war doppeldeutig. Und viele, viele Menschen haben es gemerkt. Viele haben mir auf die Schulter geklopft. Viele haben gesagt, der spinnt. Aber es hat eine Diskussion losgetreten. Die Stasi konnte nichts machen. Ich habe sie ausgetrickst. Was wollen sie machen? Ein weißes Plakat. Ich konnte damit rumlaufen. Und trotzdem war es ein politisches Zeichen.
Dieser 1. Mai hat mich so empört, weil das ein Tag ist, der eigentlich von allen Diktaturen benutzt wird. Die Menschen passen sich dieser Diktatur an und jubeln den Diktaturen zu. Das hat mich so empört. Unter Hitler sind sie schon marschiert, am 1. Mai, haben zugejubelt. In der Stalinzeit, in der DDR unter Ulbricht, sind sie marschiert und haben zugejubelt. In der scheinbar liberaleren Zeit unter Honecker laufen sie wieder und jubeln. Ich dachte: Da muss man den Leuten mal den Spiegel vorhalten. Dann habe ich mich neben die Ehrentribüne hingestellt, wo die Parteiführung der Stadt Jena stand, und habe sozusagen die Parade mit abgenommen. Auf der einen Seite hatte ich mich geschminkt wie Hitler, Bart und Tolle, und auf der anderen Seite wie Stalin. Die eine Seite braun, die andere leicht grünlich. Das sollte schon ausdrücken: Überlegt euch doch mal, wem ihr zujubelt.
Roland Jahn, Zeitzeuge auf www.jugendopposition.de