Im Juli 1952 beschließt die 2. Parteikonferenz der SED den Aufbau des Sozialismus in der DDR. Die folgenden Monate bringen zahlreiche Verschlechterungen für die Bevölkerung. So will die Partei die Schwerindustrie ausbauen, um unter anderem die militärische Rüstung voranzutreiben. Es werden weniger Güter für den privaten Bedarf produziert, weshalb bald Versorgungsengpässe auftreten. Erschwerend kommt hinzu, dass die unter massivem staatlichen Druck erzwungene Bildung Landwirtschaftlicher Produktionsgenossenschaften (LPG) die Bauern in Massen fliehen lässt. Dadurch fallen Ernten aus, und die Schlachtviehproduktion geht zurück.
Die Versorgung mit Gütern des täglichen Bedarfs ist weiterhin mit sogenannten Lebensmittelkarten geregelt. Nach der 2. Parteikonferenz entzieht die Partei 10.000 DDR-Bürgern diese Karten, so dass sie in den Läden nur noch zu völlig überhöhten Preisen einkaufen können.
Um die Produktion anzukurbeln, führt die SED in den Betrieben eine Kampagne für höhere Arbeitsnormen durch. Die Arbeiter sollen für das gleiche Geld mehr produzieren. Wer die neue Norm nicht erfüllt, soll weniger Lohn bekommen.
Verunsicherte SED: Zwei Schritte vor, einer zurück
Die Gesellschaft wird mehr und mehr militarisiert. Die Kasernierte Volkspolizei soll den Kern einer eigenen Armee bilden. Für den Kasernenbau wird ein Dienst für Deutschland gegründet, in dem Jugendliche „freiwillig“ Arbeitsdienst leisten sollen. Gegen die Kirche beginnt eine Verfolgungskampagne. Die Junge Gemeinde wird als Agentenzentrale des Westens diffamiert, und junge Christen werden von Oberschulen und Universitäten ausgeschlossen. Die Zahl der politischen Urteile steigt drastisch: Sie erreicht im ersten Halbjahr 1953 den höchsten Wert in der 40-jährigen Geschichte der DDR. Zwischen Juni 1952 und Mai 1953 steigt die Zahl der Häftlinge von circa 37.000 auf über 65.000 – eine der Hauptursachen für den Aufstand am 17. Juni 1953.
Nach dem Tod von Josef Stalin im März 1953 erreicht der Personenkult um den Diktator seinen Höhepunkt (Bildergalerie). Während in der Sowjetführung wenig später über einen Kurswechsel nachgedacht wird, wollen die deutschen Kommunisten vorerst nichts davon wissen. Doch ihre Führung wird Anfang Juni 1953 nach Moskau zitiert. Dort wird der SED die neue politische Richtung diktiert.
Am 9. Juni 1953 verkündet das Politbüro des Zentralkomitees (ZK) der SED daraufhin den Neuen Kurs. Die SED übt Selbstkritik und nimmt eine Reihe „falscher Maßnahmen“ zurück. Politische Urteile sollen überprüft werden. Relegierte Oberschüler und exmatrikulierte Studenten können an ihre Bildungseinrichtungen zurückkehren. Der Eintritt in die LPG soll fortan freiwillig sein, und den geflohenen Bauern wird im Falle ihrer Rückkehr die Rückgabe ihres Eigentums versprochen. Intern übt das Politbüro heftige Kritik an seinem Vorsitzenden Walter Ulbricht. Die geplanten Feierlichkeiten zu Ulbrichts 60. Geburtstag werden abgesagt. Unter den Funktionären der Partei und des Staates herrscht Verunsicherung.
Generalstreik: Den Berliner Bauarbeitern langt's zuerst
Besonders die Arbeiterschaft traut der Kursänderung nicht. Sie sieht darin ein Versagen der SED. Zum Funken im Pulverfass wird schließlich die Normenfrage – die Partei nimmt die umstrittenen Normerhöhungen nämlich nicht zurück. Daraufhin schicken am 15. Juni 1953 Berliner Bauarbeiter eine Delegation zum Ministerpräsidenten Otto Grotewohl. Sie kündigen einen Streik an, falls die Normen nicht zurückgenommen würden. Als keiner darauf reagiert, ziehen die Bauarbeiter am 16. Juni zum Regierungsgebäude. Dort rufen ihre Redner den Generalstreik aus. Die Nachricht verbreitet sich über die westlichen Radiosender wie ein Lauffeuer in der DDR.
Am Morgen des 17. Juni 1953 streiken in Tausenden Betrieben die Belegschaften. Sie versammeln sich, um ihre Forderungen zu formulieren und Streikkomitees zu gründen. Sie fordern soziale Veränderungen: Die Preise sollen gesenkt werden, die Normerhöhung zurückgenommen werden. Sie wollen den Rücktritt der Regierung, freie Wahlen, die Freilassung politischer Häftlinge und die Wiedervereinigung. Bereits Tage zuvor ist es vor Gefängnissen zu Menschenaufläufen gekommen. Die Streikenden ziehen in langen Marschkolonnen durch die Städte und Dörfer. Spontan schließen sich immer mehr Menschen an. Innerhalb weniger Stunden wird aus dem sozialen Protest der Arbeiterschaft ein allgemeiner Volksaufstand.
In Bitterfeld und Görlitz übernehmen gewählte Komitees gleich an Ort und Stelle die Macht. In anderen Städten richtet sich die Volkswut gegen Einrichtungen der Partei und der Stasi. In der Berliner Innenstadt demonstrieren riesige Menschenmassen gegen die SED-Herrschaft. Unter großem Jubel holen Demonstranten die rote Fahne vom Brandenburger Tor (Bildergalerie).
17. Juni 1953: Vom Arbeiterprotest zum Volksaufstand
Unter dem Schutz der Sowjets flieht die Parteiführung nach Berlin-Karlshorst. Ihre Macht schwindet. Jetzt greift die Sowjetarmee ein: Sie verhängt den Belagerungszustand, Panzer rollen in die Städte hinein. An einigen Orten wird das Feuer auf die Demonstranten eröffnet. Rund 100 Menschen werden dabei getötet. Zur Abschreckung greift die Besatzungsmacht sogar zu standrechtlichen Erschießungen (Bildergalerie).
Trotzdem gehen in den nächsten Tagen in vielen Städten die Streiks und Demonstrationen weiter. Doch gegen die massive sowjetische Militärmacht ist jeder Widerstand aussichtslos. Über das Land rollt eine Welle des Terrors, und viele Leute werden festgenommen. Es beginnt eine neue Massenfluchtbewegung in den Westen; andere fügen sich in die Verhältnisse und bleiben. Die SED übt sich weiter in Selbstkritik und verspricht, die Politik des Neuen Kurses fortzusetzen.
Für viele Jugendliche, die an den Demonstrationen teilnehmen, wird der 17. Juni 1953 zum Schicksalstag. Sie verlassen aus berechtigter Furcht vor Strafmaßnahmen ihre Heimat. Wer den Fängen der Staatssicherheit nicht entkommt, büßt diesen einen Tag des Freiheitsgefühls mit Jahren hinter Gittern. In der DDR-Presse und in den Geschichtsbüchern der Republik wird der Volksaufstand als „faschistischer Putsch westlicher Agenten“ diffamiert.
Zitierempfehlung: „17. Juni 1953“, hrsg. v. Bundeszentrale für politische Bildung und Robert-Havemann-Gesellschaft e.V., letzte Änderung Mai 2021, www.jugendopposition.de/145349
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Mittags um ein Uhr haben wir erstmal eine Demonstrationsfahrt gemacht – Strausberg, Rüdersdorf, die ganze Gegend bis Hoppegarten Schlagbaum. Kennen Sie das noch, wie das in Berlin abgesperrt war? Wir haben beschlossen, Mittagessen auf der Baustelle [zu machen] und dann nach Berlin zu fahren, Solidarität zu üben. Das muss so um halb eins, eins gewesen sein. Wir haben uns alle LKW genommen, 20 LKW. Können mehr, können auch weniger gewesen sein. Alle beladen, voll mit Bauarbeitern: Frauen, Männer. Und dann wollten wir nach Berlin.
Wir sind bis Hoppegarten gekommen. Ich war auf dem Spitzenfahrzeug drauf. Da kamen die Russen durch das Kornfeld gelaufen, Maschinenpistolen im Anschlag und ließen uns nicht durch. Der Kraftfahrer war aus Eckersdorf, er ist voriges Jahr gestorben, der hätte bald noch den Russen überfahren. Der Russe hat die Maschinenpistole hoch gerissen und schoss in die Luft. Der ganze Kontrollpunkt war voll. Die Russen, die Offiziere, die verstehen Sie ja nicht. Sie haben uns gezwungen, aufs Kornfeld drauf zu fahren, zu drehen und zur Baustelle zurück [zu fahren].
An der Baustelle angekommen, stiegen wir alle vom Fahrzeug runter, da waren schon Zivilisten da. Und während wir abstiegen, kam ein Bus auf die Baustelle raufgefahren. Alles voll mit Zivilisten. Können Sie sich ja vorstellen, wer das war. Die schwärmten aus, und ich habe noch mit einem diskutiert. Das einzige, was ich mir heute noch vorwerfen darf: Dem habe ich auf den Stiefel gespuckt. Der hat Stiefel angehabt und ich hab ihm gesagt, er soll sich was schämen. Ich hatte einen in der Brigade, der hatte vier Kinder, der war aus Rüdersdorf. Ein Pfund Margarine kostete nachher fünf Mark. Da schämt der sich nicht. Wenn ich das heute sehe: Das war eigentlich mein Verbrechen, wenn ich das mal so bezeichnen darf. Ich habe von dem abgelassen, habe mich in den Straßengraben gesetzt. Inzwischen, im Straßengraben, merkte ich: Da kamen russische Panzerspähwagen und sperrten die Straße Strausberg – Hennickendorf ab. Ich guckte mir das mit an. Da hat man ja gesehen, dass wir nichts mehr machen konnten. Streikleitung geschlossen, wir fahren nach Hause. Am nächsten Tag wollten wir uns wieder im Kulturhaus treffen. Dazu kam es nicht mehr.
Heinz Grünhagen, Zeitzeuge auf www.jugendopposition.de