Die Friedensgemeinschaft Jena (FG) wird im März 1983 gegründet, weil viele Jugendliche den Eindruck haben, dass die Kirche nicht konsequent genug gegen die Repressalien des Staates aufsteht beziehungsweise zu wenig für die Unterstützung der Friedensaktivisten unternimmt. Junge Oppositionelle werfen den Kirchenfunktionären vor, einen Schmusekurs gegenüber der SED zu fahren.
Die Junge Gemeinde Stadtmitte, die seit ihren Aktionen gegen die Biermann-Ausbürgerung 1976 unter ständiger staatlicher Beobachtung steht, wird zu einer Keimzelle der neuen Initiative. Hinzu kommen Freunde, die nicht in der Kirche organisiert sind: Roland Jahn, Petra Falkenberg und andere.
Wir wollen Frieden, Gerechtigkeit und Gewaltlosigkeit
Die FG Jena ist eine der ersten größeren Oppositionsgruppen des Landes, die unabhängig von kirchlichen Schutzräumen agiert. In ihrem Konzeptpapier stellt sie sich so vor: „Wer sind wir: Solidargemeinschaft bestehend aus Christen, Atheisten, konfessionell Ungebundenen, keine politische Organisation, ohne Leitung, ohne eingeschriebene Mitglieder. Warum haben wir uns zusammengefunden: Angst vor Krieg, Terror, Ungerechtigkeit, Einsamkeit, Isolierung; gemeinsames Gefühl der Ohnmacht, des Entmündigtseins, der Bedrohung“ (Bildergalerie).
Die FG Jena versteht sich als Teil der Friedensbewegung in der DDR und über deren Grenzen hinaus. Entsprechend gibt es Kontakte in andere Städte der DDR, in die Bundesrepublik, nach Polen und in die Tschechoslowakei.
Die Formierung der Gruppe beginnt schon 1982, zu diesem Zeitpunkt aber noch nicht unter dem Namen Friedensgemeinschaft Jena. Im April 1982 demonstrieren einige der späteren FG-Aktivisten gemeinsam mit dem Jenaer Weißen Kreis gegen die repressive Behandlung von Ausreisewilligen. Weißer Kreis nennt sich eine Gruppe von Jenensern, die ausreisen wollen und dafür öffentlich streiten.
Mancher findet sogar den Mut zu Einzelaktionen wie dieser: Am 1. Mai 1982, dem offiziellen „Kampf- und Feiertag der Arbeiterklasse“, läuft Roland Jahn, das Gesicht zur Hälfte als Stalin und zur Hälfte als Hitler geschminkt, stundenlang durch die Jenaer Innenstadt. Am 1. September 1982 wird er wegen dieser und vieler anderer Aktionen verhaftet.
Wir sagen Nein zu Unterdrückung, Bildungsverbot und Diktatur
Auch Uwe Behr zeigt Mut: Er verteilt und verschickt Protestpostkarten, um damit gegen die Verhaftung von Manfred Hildebrandt zu protestieren (Bildergalerie). Manfred Hildebrandt, der ein Foto von Roland Jahn an das westdeutsche Nachrichtenmagazin Der Spiegel schmuggelt, wird für dieses und andere „Vergehen“ mit 16 Monaten Haft bestraft. Das Foto zeigt Roland Jahn mit einer Mundbinde, Aufschrift: „Bildungsverbot“ (Bildergalerie).
Am 14. November 1982 organisieren die Jenenser Friedensaktivisten auf dem Jenaer Platz der Kosmonauten eine Schweigedemonstration für den Frieden, die gleichzeitig auch eine Demonstration für die inhaftierten Freunde Manfred Hildebrandt, Roland Jahn und Ingo Güther (25) ist. Letzterer ist wegen Wehrdienstverweigerung eingesperrt. Trotz Stasi-Präsenz versammeln sich etwa 80 Menschen mit Plakaten (Bildergalerie). Eine öffentliche Friedensgedenkminute 24. Dezember 1982 kann die Stasi verhindern, in dem sie die Innenstadt weiträumig absperrt.
Im Januar 1983 schlagen die kommunistischen Machthaber schließlich mit einer Verhaftungswelle zu. Betroffen sind Uwe Behr (26), Mario Dietsch (23), Petra Falkenberg (25), Andreas Greiner-Napp (22), Edgar Hillmann (25), Peter Kähler, Michael Rost (22), Frank Rub, Ulrich Schlutter, Reinhard Wulfert, Stefan Zigan (23). Aufgrund von massiven internationalen Protesten sieht sich die SED gezwungen einige Wochen später alle frei zu lassen.
Mehr Erfolg als am Weihnachtstag 1982 haben die Aktivisten mit ihrer Demonstration am 18. März 1983, mit der sie an die Bombardierung Jenas im Zweiten Weltkrieg erinnern wollen. Inzwischen ist die FG Jena gegründet, und mehrere Mitglieder treten mit Plakaten („Frieden schaffen ohne Waffen“) oder mit Slogans gegen den Militarismus in der DDR auf.
Wir schweigen für den Weltfrieden und für unsere Freunde
Ursprünglich haben die Friedensaktivisten einen Antrag bei der Stadt gestellt, eine eigene öffentliche Gedenkveranstaltung durchzuführen. Der Antrag wird aber abgewiesen – es gebe bereits eine offizielle Kundgebung der Partei. Aus diesem Grund mischen sich Mitglieder der FG Jena sowie Freunde aus Apolda und anderen umliegenden Orten unter die vom Staat bestellten Demonstranten.
Die FGler wissen, dass die Stasi versuchen wird, ihren Auftritt mit allen Mitteln zu verhindern. Und so sorgen sie dafür, dass Fotografen bereitstehen, um den Einsatz der Sicherheitskräfte zu dokumentieren. Die hier geschossenen Bilder werden später auf Flugblättern in der DDR verbreitet und in den Westen geschmuggelt, wo sie veröffentlicht werden (Bildergalerie).
Am 19. Mai 1983 – einen Tag nach Beginn der Stasi-Aktion „Gegenschlag“ – beteiligen sich Mitglieder der FG Jena an einer offiziell von der Freien Deutschen Jugend (FDJ) organisierten Demonstration gegen den NATO-Doppelbeschluss. Sie bringen wieder eigene Plakate mit, auf denen sie auch gegen die Aufrüstung im Osten protestieren. Hier gelingt es Roland Jahn, kurz ans Rednermikrofon zu gelangen. Vor Tausenden FDJlern formuliert er laut und deutlich seinen Protest gegen die Aufrüstung im Osten und die Militarisierung der Gesellschaft.
(Von ihrer Zeit in der Friedensgemeinschaft Jena und von einzelnen Widerstandsaktionen erzählen Roland Jahn, Dorothea Fischer und Andreas Friedrich im Zeitzeugen-Video.)
Zitierempfehlung: „Friedensgemeinschaft Jena“, hrsg. v. Bundeszentrale für politische Bildung und Robert-Havemann-Gesellschaft e.V., letzte Änderung Juli 2019, www.jugendopposition.de/145328
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„Ich würde mich als Gründungsmitglied bezeichnen. Ich dachte, ich brauche eine Gruppe oder einen Rahmen, außerhalb der Kirche, mit mehr Bewegungsfreiheit und mit mehr Sicherheit. So, dass es die Stasi nicht erfährt. Und da habe ich mich mit Freunden zusammengetan. Wann war das? 1982. Dann kamen noch andere Freunde dazu. Wir waren uns bewusst, dass wir sorgsam auswählen, dass wir aber keine geschlossene Gruppe sein wollten. Wir wollten schon, dass auch andere zu uns stoßen können. Wir hatten verschiedene Schwerpunkte, auch, wer sich mit was inhaltlich beschäftigt, sich Gedanken macht. Zum Beispiel: Wie kann ich das Leben für die Kinder verbessern, wie kann ich Kinderspielplätze umbauen oder renovieren? Wie kann ich den Kindern etwas ermöglichen, Kinderfeste organisieren?
Ein anderer Schwerpunkt war natürlich Umwelt. Ein weiterer: Wie können wir den Kontakt zu den Kirchen halten, wie können wir das gestalten? Irgendwie müssen wir uns austauschen. Einerseits mit Kirchen, andererseits mit anderen, ähnlich gesinnten Gruppen. Wie gehen wir mit dem Staat um?
In diesem Zusammenhang glaube ich mich an unsere erste Aktion zu erinnern. Wir haben versucht, am Jahrestag der Bombardierung Jenas im zweiten Weltkrieg eine Gedenkveranstaltung zu machen, ganz offiziell. Das haben wir versucht, beim Rat der Stadt anzumelden. Das hat natürlich nicht geklappt. Ich weiß nicht, was das Problem war. Vielleicht, weil sie nicht selber auf den Gedanken gekommen sind. Und weil wir eine Friedensgemeinschaft waren, eine Friedensbewegung außerhalb der staatlichen. Wir wollten mit denen nichts zu tun haben.
Wenn ich mich recht erinnere, hat der Staat dann selber was organisiert und ins Leben gerufen – ganz schnell. Da haben wir gedacht: Na gut, dann beteiligen wir uns. Und zwar mit eigenen Transparenten. Wir haben uns Transparente gebastelt und versucht – als Zug oder als Einzelne oder als Teil von dem Zug – hinzugehen. Da sind wir dann von der Stasi eingekreist worden. Da sind uns unsere Transparente entrissen worden, zum Teil auch richtig gewalttätig.
Frage: Was wollten sie mit der Demonstration erreichen? Was war der Gedanke dahinter?
Wir wollten zeigen: Die Gesellschaft besteht nicht nur aus staatstreuen Bürgern. Wir gehören auch dazu, wir machen uns auch Gedanken, wir haben auch was zu sagen. Wir wollten auf die Bevölkerung wirken, wollten, dass sie merken: Aha, es stagniert nicht. Vielleicht hätte das jemandem Mut machen können: Hier gibt es jemanden, der neue Wege zu gehen versucht.“
Dorothea Fischer, Zeitzeugin auf www.jugendopposition.de