Abschrift
Da waren die ersten Demos in Dresden oder einfach nur aufgeregte Leute, die rumgerannt sind. Der Ziemer ist auch mit hin und hat die irgendwie beruhigt, Leute in die Kreuzkirche reingelassen, die auf der Flucht vor irgendwelchen Polizisten waren. Es schaukelte sich hoch, mit Gottesdiensten und danach Auf-die-Straße-gehen. In Leipzig war das, glaub ich, massiver, aber in Dresden gab es das in kleinerem Maßstab auch. Und irgendwann kam der Stadtjugendpfarrer, Martin Henker, zu uns und meinte, er wüsste, woher auch immer, dass unsere Familie und noch ein paar andere Familien verhaftet werden sollen. Es wäre besser, wir verschwänden aus Dresden. Das war vielleicht am 5. Oktober. Zumindest sollten wir mit dem Zug wegfahren, wir hatten ja kein Auto. Aber der Bahnhof war zu dem Zeitpunkt schon gesperrt.
Ein Freund, der ein Auto hatte, hat uns nach Chemnitz [damals noch Karl-Marx-Stadt] gefahren. Die Familien sind woanders untergeschlüpft. Wir haben bei einer Freundin gewohnt, in einer Einraumwohnung, zu neunt. Aber das ging auch nur zwei Tage ruhig her. Da fing das in Chemnitz genauso an. Da waren genau diese Demos, und ich bin auf der einen Brücke in eine Demo reingeraten, ganz zufällig mit dem Kinderwagen und den ganzen Kindern. Die hatten ja auch West-Fernsehen, ich habe mitverfolgen können, was abgeht, und am 7. Oktober war bereits klar: Man kann sich hier nicht verstecken. Quatsch, wir fahren zurück.
Wir sind nach Dresden zurückgefahren und im Prinzip genau in dem Moment angekommen, als Herr Ziemer auf der Prager Straße bewirkt hat, dass die Polizei die Waffen niederlegte und dieser Runde Tisch gegründet wurde.
Johanna Kalex, Zeitzeugin auf www.jugendopposition.de