Sputnik-Verbot
Zum Anschauen des Videos benötigen Sie Javascript oder Flash
-
Radio Glasnost: Proteste gegen das Verbot des Sputniks
Abschrift
Moderatorin:
„Wohl eine der umstrittensten Maßnahmen der Regierung in der letzten Zeit ist das Vertriebsverbot für die sowjetische Zeitschrift Sputnik. Dieser Affront gegen das große sozialistische Bruderland stieß auch innerhalb des Landes auf Missbilligung. Den folgenden Überblick über die Protestaktionen entnahmen wir der jüngsten Ausgabe der Umweltblätter. Ein Anspruch auf Vollständigkeit ist damit nicht verbunden. Diese Ansage erfolgt sozusagen ohne Gewähr.“Sprecherin:
„Das Verbot der sowjetischen Zeitschrift Sputnik und von fünf sowjetischen Filmen löste in der DDR allerorten Protest aus. In Berlin traten in Betrieben ganze Abteilungen geschlossen aus der DSF aus. Zahlreiche Genossen traten aus der Partei aus. In Betrieben, Schulen und Jugendklubs wurden an Wandzeitungen Proteste ausgehängt, die nach kurzer Zeit verschwanden und oft wieder erneuert wurden.Aushänge gab es auch in der Humboldt-Universität. Unter anderem war am Schwarzen Brett einer Sektion zu lesen: Wer heute den Sputnik verbietet, verbrennt morgen Bücher!` In der Berliner Humboldt-Universität gab es auch von den Grundorganisationen der SED und der FDJ organisierte Foren zum Sputnik-Verbot. Teilweise wurden Eingaben an das Presseamt verabschiedet. Eine Sektion kündigte einen Boykott des Pfingsttreffens an.
Eine fantasievolle Aktion gab es in Leipzig am 28. 11. während der Leipziger Dokumentar- und Kurzfilmwoche. Gegen 18 Uhr versammelten sich etwa vierzig Personen vor dem Leipziger Kino Capitol`. Sie ließen Luftballons mit der Aufschrift Sputnik` in die Luft steigen. Etwa sechzig Staatssicherheitsbeamte und sechs Polizisten mischten sich unter die Protestierenden und versuchten, die Ballons mit brennenden Zigaretten zu zerstören. Nach etwa dreißig Minuten löste sich die Menge auf. Auf dem Heimweg wurden vielfach die Personalien durch zivile und uniformierte Sicherheitsbeamte aufgenommen. Sichergestellt wurde durch die Beamten die Hülle eines sowjetischen Passes.
Am Montag, dem 21. 11., kam es aufgrund des Sputnik-Verbotes in einem Werksteil von Leuna zu mehrstündigen Arbeitsniederlegungen. Wie es heißt, forderten die Arbeiter von der Betriebsparteileitung eine Erklärung über die Vorgänge um den Sputnik. Auch Parteigenossen der SED beteiligten sich an der Arbeitsniederlegung. Nach massiven Drohungen der Betriebsparteileitung und erschienener Staatssicherheitsbeamter kehrten die Arbeiter an ihre Arbeit zurück. Nach Ende der Frühschicht kam es zu einer Reihe vorübergehender Festnahmen.
Am 21. und 22. 11. protestierten sechzig sowjetische Komsomolzen an der Friedrich-Schiller-Universität in Jena gegen das Verbot des Sputnik. Protestresolutionen wurden verfasst und an die Schwarzen Bretter verschiedener Sektionen gehangen. DDR-Studenten schlossen sich den Protesten an. Die Universitätsleitung drohte daraufhin mit Relegierungen und Landesverweisen für die sowjetischen Studenten, da es sich bei ihrer Aktion um Einmischung in die inneren Angelegenheiten der DDR handele. Der sowjetische Konsul in Leipzig wurde eingeschaltet.
An der Martin-Luther-Universität in Halle kam es am 21. und 23. 11. zu spontanen Protestaktionen gegen das Verbot des Sputnik. Eingaben und Resolutionen wurden verfasst und öffentlich ausgehangen.
In der Woche nach dem Sputnik-Verbot hingen im Weimarer Hochhaus am Jakobsplan, einem Massenquartier für Studenten, Flugblätter aus. Außerdem schrieben Weimarer Studenten in großer Anzahl Eingaben, in denen sie sich gegen das Verbot wandten. Bereits am folgenden Mittwoch fanden in allen Sektionen außerordentliche Parteiversammlungen statt, die als öffentlich angekündigt wurden, im letzten Moment aber doch unter Ausschluss der Öffentlichkeit durchgeführt wurden.
In einer Sektion wurde von dem referierenden Parteisekretär die Perestroika mit Konterrevolution gleichgesetzt. Anderswo wurde die Kirche als Hauptunruhestifter in der DDR bezeichnet. Die Situation, hieß es weiter, sei mit der vor dem 17. Juni zu vergleichen. Eine konterrevolutionäre Situation sei in den drei Studentenclubs Weimars entstanden. Dort werde jetzt durchgegriffen werden. Alle anwesenden Genossen wurden aufgefordert, Mitarbeiter und Studenten bei der Partei zu melden, die eine Perestroika in der DDR befürworten. Eine Diskussion in den Reihen der Partei, so die Instrukteure weiter, sei nicht zulässig, da laut Statut über Parteianweisungen nicht diskutiert wird. Genossen, die sich an Eingaben beteiligt haben, wurde ein Parteiverfahren angekündigt. Studenten, die nicht der SED angehören und eine Eingabe gegen das Sputnik-Verbot verfasst haben, sollen bis zur Exmatrikulation disziplinarisch bestraft werden. In den Studentenwohnheimen führte die Staatssicherheit Durchsuchungen durch. Studenten wurden vernommen. Polizeistreifen bewachen verstärkt das Hochschulgelände.“Quelle: Radio Glasnost, Dezember 1988
- Radio Glasnost: Kommentar zum Sputnik-Verbot
- weitere Videos