Abschrift
Eines Tages wurde ich vorgeführt: ´Übermorgen sind sie in West-Berlin oder eben nicht. Dann gehen Sie hier ordentlich ab`. Da waren es bis zu zehn Jahre: staatsfeindliche Hetze im schweren Fall. Dann hatten wir eine halbe Stunde Zeit, es uns zu überlegen. Wir durften plötzlich wieder mit unseren Frauen reden, ohne Aufsicht. Ja, dann habe ich das so entschieden für mich. Untereinander durften wir uns nicht absprechen. Hätten wir wahrscheinlich auch noch gedurft. Da war wohl schon der Punkt erreicht, dass das vereinbart war. Ich habe mal gehört, dass das vereinbart wurde. Da ging es ja auch um Geld. Die Bundesregierung hat aber gesagt hat: Wir nehmen niemanden, der nicht will. Wir kaufen niemanden, der nicht will. Deshalb mussten wir einen Ausreiseantrag unterschreiben und eine Begründung, warum. Ich habe gesagt: ´Ich will nicht in den Westen`.
Da war so ein Stasi-Offizier, den ich nicht kannte. Der sagte: ´Schreiben Sie: persönliche Gründe. Was wollen sie denn hier in der DDR? Sie gehen doch den Bach runter.` So hat der mit mir geredet. Irgendwie hat er Recht gehabt. Ich habe das Ding unterschrieben, habe einen offiziellen Ausreiseantrag gestellt, den ich nie stellen wollte. Wir sind von der Stasi zum Anwalt Vogel gefahren worden. Dann haben wir da kurz eine HB geraucht, einen West-Kaffee getrunken und im Ledersessel gesessen.
Dann hat uns die Frau vom Anwalt Vogel im Mercedes nach West-Berlin gefahren. Und der Posten an der Grenze hat nur so gemacht. Sie hat nicht mal angehalten. Die wussten alle Bescheid. Da fuhr auch irgendein Wagen hinter uns her, ein alliiertes Auto von den Engländern oder so. Ja, da war man noch wer.
Frage: Und wo kamen Sie dann in West-Berlin an?
In West-Berlin saß ein Pendant zum Anwalt Vogel, der hieß Rechtsanwalt Stange. Das waren die Verhandlungspartner. Dann waren wir bei dem, und der rief den Bundeskanzler Schmidt an. Das war alles sehr nett. Wie es uns denn ginge? Er wünschte uns viel Glück. Und wieder Kaffee und wieder eine HB, und dann waren wir einfach entlassen.
Natürlich waren wir unglücklich. Wir hatten zwar viel Erfolg, einfach durch die Prominenz, die sich jetzt ergab. Die Zeitungen waren voll, überall Titelblatt: ´Fuchs – Pannach – Kunert werden entlassen`, und Fotos. Das währt natürlich nicht lange. Wir hätten zunächst auftreten können wie die Teufel, aber wir hatten keine Lust. Das war ein anderes Publikum. Dann haben wir natürlich Fuß gefasst, aber es hat eine Weile gedauert. Ging vielen so, die Exilanten gluckten aufeinander. Und mit diesem Zustand sind sie natürlich auch nicht zufrieden, gehen sich selber auf die Ketten, und es passiert nicht viel Neues. Immer nur über das zu reden, was sowieso alle in diesem Kreis betrifft ...
Insofern habe ich dann irgendwann gesagt: ´Ich muss das loswerden. Und ich muss hier mal irgendwas mit den Wessis zu tun kriegen`.
Christian Kunert, Zeitzeuge auf www.jugendopposition.de