Fuchs, Kunert und Pannach
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Radio Glasnost: Interview mit Jürgen Fuchs zehn Jahre nach seiner Ausbürgerung
Abschrift
Interviewer:
„Kannst du kurz schildern, aus welchen Gründen du damals verhaftet wurdest und wie es zu deiner Ausbürgerung kam?“Jürgen Fuchs:
„Zwei Anlässe: Einmal hatte ich seit 1974 das Verbot, in staatlichen Einrichtungen zu lesen. Veröffentlicht hat man auch nichts mehr. Ich habe also seit ungefähr 1971/72 Gedichte, kürzere Prosa in DDR-Verlagen gemacht. Der Grund war, man warf mir vor, staatsfeindliche Themen aufgegriffen zu haben. Ich habe über den Kasernenhof etwas geschrieben, kurze Prosa. Ich habe mich beschäftigt mit den Themen Geheimdienst, Staatssicherheit, das Problem Macht Einzelner. Da stand ich auf einer Zensurliste und war nicht gut angesehen. Und zum anderen habe ich mich solidarisiert mit Biermann. Ich habe gegen seine Ausbürgerung protestiert, war mit ihm, bin mit ihm befreundet, erlebte mit Havemann zusammen in Grünheide mit die Ausbürgerung. Wir wussten, was kam. Es war eine sehr schlimme Situation.
Wenige Tage später wurde ich verhaftet. Gerulf Pannach, Liedermacher aus Leipzig, auch, Christian Kunert. Andere aus [den] Städten Jena, Leipzig, die ebenfalls gegen die Ausbürgerung protestierten, wurden auch verhaftet. Ja, und dann saß ich im Gefängnis. Man warf mir zwei Dinge vor: einmal eben diese literarischen Arbeiten und auch eine versuchte Westveröffentlichung. Ich hatte DDR-Verlagen angeboten, aber dann auch westlichen Verlagen, und es wurde auch einiges gedruckt. Und diese Haltung im Fall Biermann.“Interviewer:
„Du hast über deine Haftzeit damals ein Buch geschrieben: Die Vernehmungsprotokolle`. Über deine erzwungene Ausreise schreibst du darin: Wie groß muss eine Demütigung sein, von der man sich nicht mehr erholt.` Hast du dich denn je von dieser Demütigung erholt?“Jürgen Fuchs:
„Das, was du zitierst, finde ich eine ganz wichtige Frage. Diese Art der Behandlung, fast ein Jahr Untersuchungshaft, sehr viele Verhöre, monatelang fast täglich mehrere Stunden, auch wenn man nichts sagte – und ich sagte lange nichts –, diese Art des hohen psychischen Drucks, auch das Anwenden von seelischen Schmerzen, die man zufügte: das ist durchaus in den Bereich von psychischer Folter und Folterabsichten zu stellen. Das macht einem ganz schön zu schaffen. Und das ist insgesamt eine Demütigung, wenn das noch dazu damit endet, dass man das Land verlassen muss oder in eine Situation gebracht wird, wo gesagt wird, entweder du bleibst drin oder nach dem Westen in wenigen Tagen und dann nicht mehr zurück. Das ist etwas … man kann nicht mehr reisen. Und dieses würde ich doch als Demütigung ansehen, als Kränkung auch. Der Lebensentwurf, das, was man sich vorgestellt hatte, wird erst mal schroff unterbrochen, und ein fremder Wille wird dir aufgeprägt. Und davon erholt man sich schwer. Ich habe mich davon erholt, weil ich als Autor weiterarbeiten konnte. Mir ist etwas eingefallen. Ich habe geschrieben, das kann man nachlesen, habe einige Bücher veröffentlicht. Und insofern wäre meine Antwort – auch wenn ich zurückblicke auf diese Zeit –, keine Kompromisse zu machen als Künstler, als Schriftsteller in allen wesentlichen Fragen, also Wahl des Themas, was man wie beschreiben will, was man wann mit wem spricht und wo veröffentlicht. Keine Kompromisse auf diesem Gebiet zu machen hat sich gelohnt, glaube ich, weil, ich konnte weiterschreiben. Es gibt aber einen Preis, und der Preis ist bekannt.“Interviewer:
„Gibt es für dich noch so etwas wie eine offene Rechnung mit der Regierung drüben?“Jürgen Fuchs:
„Rechnung, Preis ist eine andere Seite. Ich bin ja damit auch ein politischer Mensch. Habe mich dazu auch immer bekannt oder gesagt: Ja, ich habe auch politische Überzeugungen oder Meinungen, oder ich bin für demokratische Opposition in diesen Ländern. Und dort würde ich sagen: Na ja, diese Parteidiktaturen haben noch was vor sich, was in Polen teilweise schon geschehen ist. Sie haben Gewerkschaftsbewegung vor sich. Sie werden damit zu tun haben, dass die Arbeiter eben auch ein bisschen mitbestimmen wollen. Und sie haben auch als Dauerbrenner, dass Künstler und andere nicht sich reinreden lassen in ihre Arbeit und natürlich die Leute auch reisen wollen. Und diese Rechnung ist offen. Das ist zum Teil auch eine persönliche, aber eine größere. Und insofern: Die ist offen. Persönlich abarbeiten muss ich mich nicht. Ich muss versuchen, gute Bücher zu schreiben.“Interviewer:
„Wann hattest du denn hier in West-Berlin das Gefühl, nicht mehr der DDR-Dissident zu sein, deine Identität nicht mehr durch deine DDR-Geschichte bestimmt zu sehen?“Jürgen Fuchs:
„Wenn ich biografisch darauf antworte, heißt es, ich werde immer mit dem verbunden sein, was auch Jena oder Ost-Berlin heißt, oder auch mit den Themen, die ich aufgreife, was ich dort erfahren habe als Teil meines Lebens. Dort will ich nicht weg, und dort möchte ich nicht raus. Ich möchte aber offen sein für neue Erfahrungen und sehen, welche anderen Lebensabschnitte es gibt. Also, ich betone ganz bewusst die Treue an dieser Stelle. Treue, sagen wir, zur eigenen Biografie. Und das Interessante, was hier bei uns eintrifft bei solchen wie uns, dass die kommen und dann sofort eine Briefmarke oder so einen Stempel aufgedrückt bekommen: Dissident. Wenn man drüben mit Havemann sprach oder befreundet war und der war dann im Radio der Regimekritiker, war das natürlich eine Entfremdung, genauso wie Dissident.
Und da ist auch ein Unterton, der heißt: Na ja, der klebt dann, wenn er hier ist, an den Themen drüben und wird immer nur über da sprechen. Und die haben dann ihre Themen, ihre Schubkästen. Na ja, das sind die, wie lange sprechen sie noch über da, wie lange haben sie noch ihre Macke sozusagen, und wann endlich haben sie das Neuland erreicht? Und ich denke, das ist auch wieder so eine Trennung, eine Schizophrenie. Das eine bewahren, das andere neu entdecken, offen sein und Verbindungen herstellen, also diese Schizophrenie, die real existiert, überwinden.“Quelle: Radio Glasnost, August 1987
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