Abschrift
Nachdem ich aus den Ferien zurückgekommen bin, habe ich natürlich mit Aufregung in der Zeitung gelesen, wie es dort weitergeht. In der Zeitung stand nicht viel. Ich hab im Radio verfolgt, was man dort über die Tschechoslowakei berichtet. Denn ich hatte die Sorge meiner Freundin noch im Kopf. Die Sorge, was passiert eigentlich mit den Armeen in der Slowakei beziehungsweise hinter der Slowakei.
Anfang August '68 gab es eine Pressekonferenz in Karlovy Vari, an der auch Walter Ulbricht teilgenommen hat. Darüber wurde dann bei uns in der Zeitung berichtet, im Neuen Tag. Bei dieser Pressekonferenz hatte Walter Ulbricht gesagt: Wir haben mit Verwunderung gehört, dass die tschechoslowakischen Genossen die Pressezensur abgeschafft haben. Bei uns gibt es ja gar keine`. Dieser Satz ist auch im SFB gekommen, in der Zeitung hat er gestanden, und wir haben zu Hause beim Mittagstisch darüber gesprochen. Bei uns zu Hause wurden eigentlich alle wichtigen Dinge beim Mittagstisch besprochen. Und weil es ein regnerischer Tag war, es goss wie aus Kannen, sagte mein Vater: Kein Wunder, dass es regnet, wenn Walter Ulbricht das Blaue vom Himmel runtergelogen hat`.
Der Satz gefiel mir, und ich schrieb ihn damals in mein Tagebuch. Ich hatte seit einigen Jahren Tagebuch geführt, so wie vielleicht alle Halbwüchsigen Tagebücher führen und hatte das aufgeschrieben, weil es mir gefallen hat. Andere Dinge habe ich auch aufgeschrieben.
Das Tagebuch ist bei der Hausdurchsuchung beschlagnahmt und später bei Verhören verwendet worden. Es wurden mir einzelne Texte daraus vorgestellt. Dazu sollte ich dann Stellung nehmen. Jetzt, nach der Wende, seit man die Unterlagen einfordern kann, habe ich irgendwann einen Antrag gestellt und meine Tagebücher wiederbekommen.
Hildegart Becker, Zeitzeugin auf www.jugendopposition.de