Abschrift
„Unsere Gruppe hatte sich etwa im Sommer 1950 gebildet, und die erste Aktion waren Flugblätter gegen die Volkskammerwahlen. Wir haben später noch paar Mal andere Flugblätter hergestellt. Aber unmittelbar nach dieser Aktion, die wir selber als positiv eingeschätzt haben, gab es viele Diskussionen in der Kleinstadt Werdau. Ich hörte zu, wie die sich unterhielten: ,Es sind Flugblätter verteilt worden.' Man tat so, als ob man das das erste Mal hörte.
Jedenfalls haben wir gesagt: Sie auf so primitive Art und Weise mit so einem Handdruckkasten Buchstabe für Buchstabe zusammen zu setzen, das geht auf Dauer nicht. Wir wollen doch weiter machen. Dann hatten wir eine Gruppenleitersitzung, so der harte Kern. Wir kamen auf die Idee: West-Berlin, da gibt es vielleicht Möglichkeiten der Unterstützung. Wir wollten kein Geld haben, sondern materielle Unterstützung, vielleicht in Form von fertigen Flugblättern, oder entsprechende technische Hilfe. Das war das eine. Ich hatte noch etwas anderes eingebracht in die Diskussion: Es wäre vielleicht ganz gut, wenn in West-Berlin jemand wüsste, dass es in Werdau eine Widerstandsgruppe gibt. Man kann ja nicht wissen, ob das nicht notwendig ist. So eine Art Rückversicherung für den Fall, dass uns etwas passiert. Denn unseren Eltern konnten wir uns nicht anvertrauen.
Unsere Eltern wussten wirklich nichts davon. Ich bin nachts aus dem Fenster gestiegen, nachdem ich ins Bett gegangen war, hab meine Flugblätter verteilt aus meinem Bündel, das mir zugeteilt worden war. Anschließend bin ich wieder durch das Fenster eingestiegen. Am nächsten Tag kam mein Vater am Nachmittag oder am Abend von der Arbeit zurück und sagte: ,Es sind wieder Flugblätter verteilt worden, 'ne tolle Sache. Mach bloß du nicht so was, viel zu gefährlich.' Ich hab gesagt: ,Nee, ich nicht. Du weißt doch, ich bin FDJ-Funktionär!'. So in dem Stil.“
Quelle: Zeitzeugeninterview mit Achim Beyer am 11. Oktober 1998, Sächsischer Landesbeauftragter zur Aufarbeitung der SED-Diktatur