Glaubt man den offiziellen Darstellungen der SED-Führung, gibt es in der DDR bis 1989 keine gravierenden Umweltprobleme. Smog, Waldsterben und sauren Regen kennen die DDR-Bürger nur aus dem Westfernsehen. Doch es genügt ein Blick vor die eigene Haustür, ein Gang durch den Betrieb oder ein Ausflug ins Erzgebirge, um zu begreifen, dass die DDR-Regierung auch bei der Umweltzerstörung verschweigt, vertuscht und lügt.
Besonders erschreckend ist das Ausmaß der Zerstörung beim Uranbergbau und im Chemiedreieck Halle-Leipzig-Bitterfeld durch die Chemiewerke und den Kohleabbau. Verschmutzte Seen und Flüsse, kahle Wälder und Mondlandschaften sind die nicht zu übersehenden Folgen der desaströsen DDR-Wirtschaft.
Mondlandschaften, Kloaken und Chemiecocktails
Die einzige offizielle Organisation in der DDR, die sich ansatzweise mit der Umwelt auseinandersetzt, ist die Gesellschaft für Natur und Umwelt im Kulturbund der DDR. Mit staatlicher Förderung ausgestattet, beschränkt sich deren Arbeit aber auf die Pflege der wenigen Naturschutzgebiete, aufs Bestimmen von Schmetterlingen und das Zählen von Fröschen. Eine politische Dimension erlangt ihre Arbeit nicht, und Umweltprobleme werden hier bestenfalls in kleinem Kreis diskutiert. Vor diesem Hintergrund haben die Aktionen der DDR-Umweltbewegung vor allem zwei Ziele: die unhaltbaren Zustände öffentlich zu machen und Bürger zu aktivieren, selbst etwas für den Schutz ihrer Umwelt zu tun.
Innerhalb der Kirche etabliert sich eine eigenständige Umweltbewegung mit dem christlichen Motiv, die Schöpfung zu erhalten. Informations- und Dokumentationszentrum ist das Kirchliche Forschungsheim Wittenberg, das Umweltaktivitäten koordiniert, systematisch Umweltprobleme erforscht und in zahlreichen Publikationen Anleitungen zum Umweltschutz für die Aktivitäten kleinerer Gruppen im ganzen Land herausgibt.
Zu den häufigsten Aktionsformen der Gruppen gehören Demonstrationen, Fahrradkorsos, Ökologie-Seminare, Informationsveranstaltungen und nicht zuletzt der aktive Einsatz vor Ort, zum Beispiel bei einer Baumpflanzaktion. Immer ist das Hauptziel, so viele Menschen wie möglich zu mobilisieren.
Eine für die Verhältnisse beachtliche Resonanz erreicht der Einsatz dreier 17-jähriger Schüler aus Schwerin, die 1979 die erste Baumpflanzaktion starten. Jörn Mothes, Nikolaus Voss und Olaf Naasner organisieren in der Evangelischen Jugendarbeit ein Umwelt-Wochenende mit Vorträgen und einer Aktion, bei der 50 Jugendliche etwa 5.000 Bäume entlang einer Straßenbahnlinie in Schwerin pflanzen. (Wie Christian Halbrock im Zeitzeugen-Interview berichtet, wollen die Jugendlichen aktiv sein, auf die Straße gehen und nicht nur Eingaben verfassen.) Der Kontakt zur Bevölkerung ist gut, und es bietet den Aktivisten einen gewissen Schutz, wenn die Bürger auf Verhaftungen mit Empörung reagieren. Warum führt man junge Leute ab, die etwas für die Umwelt tun?
Verbrecherische Verschleierungstaktik in Sachen Strahlung
Zu einem zentralen Anliegen der Umweltschützer wird der Kampf gegen die Atomkraft. Nach dem GAU in Tschernobyl am 26. April 1986 erfahren die DDR-Bürger nur über die Westmedien von der Katastrophe, die Ostmedien vertuschen die Ereignisse.
Die Kirchenführung reagiert empört auf das Informationsdefizit in den DDR-Medien nach dem Tschernobyl-Unfall. Schließlich erkennen viele Bürger die wahren Gefahren der Verstrahlung nicht – und können sich nicht schützen. Diese Diskussion führt zu einer verstärkten Sensibilisierung der Bevölkerung für Umweltthemen.
Um dem eklatanten Mangel an Aufklärung und Kommunikation abzuhelfen und das Informationsmonopol des Staates zu unterwandern, gründen Christian Halbrock, Wolfgang Rüddenklau und Carlo Jordan 1986 mit Gleichgesinnten die Berliner Umwelt-Bibliothek (UB). Sie ist die erste dieser Art in der DDR. Diese und das 1988 aus der UB hervorgehende Grün-ökologische Netzwerk Arche werden zu Zentren der oppositionellen Umweltarbeit.
Zitierempfehlung: „Aktionen der DDR-Umwelt-Bewegung“, hrsg. v. Bundeszentrale für politische Bildung und Robert-Havemann-Gesellschaft e.V., letzte Änderung Dezember 2019, www.jugendopposition.de/145389
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Die Grünen in West-Deutschland hatten eine große Vorbildfunktion. Es war klar, dass man unter dem Vorzeichen ´Umwelt` relativ viel machen konnte, ohne gleich in diesen strafrelevanten Bereich hinein zu rutschen, was einen bei der Polizei und beim MfS [Ministerium für Staatssicherheit] in Erklärungsnot brachte. Gegen klar definierte Staatsfeinde vorzugehen, das ist ganz einfach. Aber jetzt, wenn die Leute, die am Straßenrand stehen, sagen: ´Nö, warum nehmen sie jetzt diese Jugendlichen da mit? Das ist doch was Gutes, dass die für die Umwelt sind ...`.
Das haben wir sofort mitgekriegt: Das bringt uns eine wesentlich bessere Position. Dadurch kamen auch immer gute Kontakte zustande, mit der Bevölkerung. So konnte diese Isolation schnell aufgebrochen werden. Was noch hinzu kam, das war 1983 in Berlin, wo relativ viele Leute aus verschiedensten Städten der DDR hinzogen. Viele litten unter demselben Gedanken oder Missstand und sagten: ´Es wird immer diskutiert, diskutiert, aber es passiert nichts, keiner macht was`. In Berlin gab es bereits die etablierten Friedensgruppen in ESG [Evangelische Studentengemeinde], diese Friedensgruppen, in Samariter. Da wurde diskutiert und diskutiert, und jede Eingabe dauerte zwei Wochen. Jeden Abend wurde da jedes Komma abgestimmt. Als wenn das irgendwie wichtig gewesen wäre. Wir wollten einfach was machen, wir wollten auf die Straße, wollten was auf die Straße tragen.
Wir sind dann zu diesen Friedensgruppen auf Distanz [gegangen], weil wir auf eindeutigen Widerspruch stießen. Da haben wir einfach gesagt: Wir machen Umweltgruppen auf, als Untergruppen oder selbstständige Umweltgruppen. Wir machen unsere eigenen Gruppen, und ziehen das durch. Die ganz eindeutige Idee war schon diese logistische und strategische Überlegung: Um hier in der DDR etwas verändern zu können, muss man sich nicht nur schrittweise eine Basis schaffen, von der aus man ungehindert handeln kann. Man muss vielmehr auch die einzelnen Monopole dieses Staates schrittweise unterhöhlen, aushöhlen. Das Wichtigste war eben dieses Informationsmonopol. Erst dann würde es zu einer Änderung in der DDR kommen.
Das war unser Konzept. Wir haben von Anfang an gesagt: Wir begreifen Umwelt als allumfassenden Begriff. Umwelt ist für uns auch die Wahrung der individuellen persönlichen Unverletztheit des einzelnen Bürgers. Es ist für uns die Reisefreiheit, es ist für uns die Informationsmonopolpolitik der DDR. Und somit ist Umwelt für uns ein ganzheitlicher Begriff.
Christian Halbrock, Zeitzeuge auf www.jugendopposition.de