Ausreiseantrag
Wer nicht mehr in der DDR leben will oder kann, stellt einen Antrag auf Übersiedlung in die Bundesrepublik.
Die SED-Führung sieht sich 1983 gezwungen (eine Folge der KSZE), zum ersten Mal eine förmliche Regelung zu veröffentlichen, die ein Antragsrecht auf Ausreise enthielt: die „Verordnung zur Regelung von Fragen der Familienzusammenführung und der Eheschließung zwischen Bürgern der DDR und Ausländern“ vom 15. September 1983.
Sie gibt Ausreisewilligen neuen Auftrieb, da sie zum ersten Mal die Möglichkeit haben, sich auf eine Norm – wenngleich kein Gesetz – zu beziehen. Politisch hat diese Verordnung herausragende Bedeutung.
Ausreiseanträge werden als rechtswidrig angesehen. Wer einen solchen Antrag stellt, kann seinen Arbeitsplatz verlieren, und dessen Kinder sind von höheren Bildungseinrichtungen ausgeschlossen.
Wer seinem Antrag durch öffentliche Aktionen Nachdruck verschafft und / oder Unterstützung im Westen erbittet, wird strafrechtlich belangt.
Von Mitte der 1970er Jahre bis Oktober 1989 stellen etwa 250.000 Menschen einen Ausreiseantrag. Zwischen 1976 und 1988 werden circa 20.000 Ermittlungsverfahren gegen Antragsteller geführt, die zumeist mit Gefängnisstrafen zwischen einem und zwei Jahren enden.
Quelle: Hans-Joachim Veen (Hg.), Lexikon. Opposition und Widerstand in der SED-Diktatur, Berlin, München 2000.