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Revolution 89 - Gedächtnisprotokolle und Unabhägige Untersuchungskommission_RHG_Fak_0945

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„Kesseltreiben unter Einsatz von Schlagstöcken, Hunden und Militärtechnik“: Bürger, die bei den Demos am 7. und 8. Oktober 1989 in Ost-Berlin in Bedrängnis geraten sind oder verhaftet wurden, schreiben Gedächtnisprotokolle. Diese werden gesammelt...
„Kesseltreiben unter Einsatz von Schlagstöcken, Hunden und Militärtechnik“: Bürger, die bei den Demos am 7. und 8. Oktober 1989 in Ost-Berlin in Bedrängnis geraten sind oder verhaftet wurden, schreiben Gedächtnisprotokolle. Diese werden gesammelt und veröffentlicht. Dabei spielt die Gethsemanekirche im Bezirk Prenzlauer Berg eine große Rolle. Quelle: Robert-Havemann-Gesellschaft, Seite 4 von 4


Abschrift:

Gedächtnisprotokolle zu den Verhaftungen am 7. und 8. Oktober 1989 in Berlin.

Bericht über eine polizeiliche Zuführung vom 8. zum 9.10.1989

Am Abend des 8.10.89 ca. 23.45 Uhr wurden zwei Bekannte und ich sowie etwa 30 Passanten auf der Schönhauser Allee/Ecke Willi-Bredel-Straße ohne Vorwarnung oder Aufforderung die Straße zu verlassen, plötzlich eingekreist und auf Militärfahrzeuge getrieben. Nach einstündiger Fahrt über die Immanuelkirchstraße und Rummelsburg, die alle überfüllt waren, wurden wir zur VP-Inspektion Marzahn gebracht. Dort wurden wir unter rüdem Geschrei vom LKW geholt, dabei am Arm gefaßt und heruntergerissen, so daß einige Frauen voll hinstürzten. In einer Reihe stehend, wurden Frauen und Männer getrennt – die Männer wurden schräg an die Wände der Garage gestellt, mit Tritten ihnen die Füße auseinander gekeilt, auch sah ich, daß mit Gummiknüppeln zugeschlagen wurde. Die Frauen mußten die Ausweise abgeben, die Personalien wurden aufgenommen und jede in ca. 2 m Abstand mit dem Blick zur Wand gestellt. Es war verboten zu sprechen. Dort standen wir sehr lange zitternd vor Kälte. Dann wurden die Frauen einzeln in eine Garage geführt und nach ungefähr einer Viertelstunde weggebracht. Da mir schlecht wurde und ich auf der Toilette zu brechen versuchte, war ich die Vorletzte, die in die Garage kam. Dort wurden mir von einer Polizistin in Zivil, mit einer Pistole unter dem Pullover und dem Gummiknüppel in der Hand, alle Taschen geleert. Ich mußte die Schnürsenkel abgeben. Dann hieß es: „Jacke aus“. Pullover, Hose, die sie mir abnahm und untersuchte. Dann Slip runter! Hemd hochhalten und mit gespreizten Knien in die Hocke gehen. Damit hatte sie sich wohl von meiner Waffenlosigkeit überzeugt, ich durfte mich wieder anziehen. Mein Halstuch, welches ich mir im kalten LKW um die Nieren gelegt hatte und um das ich jetzt wegen der Kälte bat, wurde zusammen mit meinem Schmuck und der Handtasche in einer Plastiktüte verstaut. Ich wurde in einen Lagerraum geführt, wo die Frauen in ca. 2 m Abstand, mit Blick zur Wand, auf Stühlen saßen. Wir durften endlich sitzen, aber reden und umsehen waren verboten. Wir wurden einzeln zum Verhör geführt. Der Vernehmer wirkte freundlich, nach dem unwirschen und drohenden Auftreten der Polizisten. Er gab mir eine Zigarette, die meine Verkrampfung etwas löste. Er versprach mir, 6.45 Uhr meine halbwüchsigen Kinder telefonisch zu wecken, damit sie pünktlich zur Arbeit kämen. Dann saßen wir wieder lange in dem Lagerraum (oder Garage) neben mir eine weinende junge Frau, deren Kleinkind allein zu Hause war. Ihr Vernehmer hatte versprochen, sie bis zum Morgen zu entlassen, damit das Kind nicht beim Erwachen allein wäre. Sie sprach deshalb einen der Wachhabenden an, welcher ihr grob Ruhe gebot. sie und eine andere Frau wurden erst Stunden später am bereits hellen Tag entlassen.
Zwischendurch wurden die uns abgenommenen Sachen umständlich aufgelistet, die Liste mußten wir mit unserer Unterschrift bestätigen. Wir kamen in die Garage, wo die Männer immer noch standen. Vielen sah man an ihren verdreckten Sachen an, daß sie am Boden gelegen haben mußten. Hier war der Ton wesentlich schärfer. Ein paar Mal hörten wir, wie unter dem Vorwurf, die Männer würden nicht richtig stehen oder grinsen, Schläge klatschten. Die Tür stand meistens offen. Es war sehr kalt. Meine Nachbarin, deren Hose und Knie vom Sturz aufgerissen waren, wurde auf ihre Bitte von einer Schwester versorgt. Gegen 10.30 Uhr wurde ich wieder hinaus geführt, mußte schlotternd im Regen warten und dann in einer Garage eine Belehrung über Widerstand gegen die Staatsgewalt, Rowdytum und Zusammenrottung unterschreiben. Dann konnte ich meine Sachen entgegen nehmen und gehen.
Ich bin 38 Jahre alt und hätte mir nie träumen lassen, solch eine beleidigende und demütigende, die Würde des Menschen verletzende Behandlung erleben zu müssen, die jeder Rechtsgrundlage entbehrt. Ich verlange, daß das Verhalten der Polizeibeamten untersucht und öffentlich ausgewertet wird.

Unterschrift


Quelle: Robert-Havemann-Gesellschaft

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