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Aufstand 53 - Mediziner in Greifswald_RHG_Fak_0482_a
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Kanonen auf Spatzen: Mit motorisierten Einheiten und Hunderten Einsatzkräften geht die Staatsmacht gegen friedlich protestierende Studenten vor. Im Bild: Polizeibericht über den Großeinsatz in Greifswald. Quelle: Universitätsarchiv Greifswald, Seite 2 von 3
Abschrift:
Polizeibericht über den Großeinsatz in Greifswald.
Abteilung –S–, Einsatzleitung Greifswald
B e r i c h t .
über den Großeinsatz in Greifswald.
[handschriftlich am linken Rand: 19.30]
Am 29.3.1955 gegen 19,30 Uhr wurde dem VPKA Greifswald von der Parteileitung der Universität mitgeteilt, dass die Studenten der mediz. Fakultät aus Protest gegen den Ministerratsbeschluß, betreffs der Veränderung an der mediz. Fakultät, am 30.3.55 in den Streik treten wollen. Auf Grund des vorstehenden Sachverhaltes wurde am 29.3.55 gegen 21,45 Uhr im VPKA Greifswald eine Einsatzleitung gebildet und verstärkte Streifentätigkeit angeordnet. Weiterhin wurde der BDVP-Rostock der Sachverhalt per Blitz-FS mitgeteilt. Am 30.3.55 um 04,50 Uhr wurde auf Anweisung des Amtsleiters, GenossenVP.-Oberrat S o s t , für das VPKA Greifswald die Alarmstufe 3 ausgelöst. Von der BDVP Rostock wurden in den frühen Morgenstunden des 30.3.55 die Mot-Schutzpolizei in Stärke von 1–10 und 57 Angehörige der Abteilung –K– unter Leitung des Leiters der Abteilung –K– der BDVP Rostock, Genossen VP.-Kdr. S t r a u ß , zur Unterstützung nach Greifswald beordert. Außerdem wurde die Bereitschaft der BDVP Rostock in Richtung Greifswald in Marsch gesetzt.
Die Mot-Schutzpolizei besetzte sofort nach Eintreffen sämtliche Ein- und Ausfuhrstraßen der Stadt Greifswald und führte Personen- und Fahrzeugkontrollen durch. Die Einsatzkräfte der Abteilung –K– wurden in Streifen und Ermittlungsgruppen aufgeteilt. Das Stadtgebiet Greifswald wurde in 4 Streifenbezirke aufgeteilt. Aufgabe der Streifengruppen war es ständige Verbindung mit den Kampfgruppen der Partei, die ebenfalls in den frühen Morgenstunden des 30.3.55 zusammengestellt wurden und sämtliche Objekte der Universität, Univer. Kliniken sowie Studentenwohnheime besetzt hatten, aufrechtzuerhalten und Informationen über die Stimmung der Studenten und deren beabsichtigten Massnahmen zu sammeln. Die Aufgabe der Ermittlungsgruppen bestand darin, die durch Informationen eingebrachten Feststellungen zu überprüfen und die hierzu notwendigen Ermittlungen zu führen.
Gegen 08,20 Uhr wurde durch eine Streife der Abteilung –K– telf. mitgeteilt, dass sich auf dem Hofe des physikalischen Institutes ca. 100 Studenten versammelt hätten, Streifen der Kampfgruppen und auch Streifen der Abteilung –S– angepöbelt und ausgelacht haben. Bei Eintreffen der Einsatzkräfte der Abteilung –K– hatten sich die Studenten bereits in die Hörsäle begeben. Weitere Einzelheiten konnten daher nicht mehr festgestellt werden.
Im weiteren Verlauf des Vormittags wurde festgestellt, dass ein Teil der Vorlesungen der medizinischen Fakultät wegen mangelnder Beteiligung ausgefallen war. Die Vorlesungen anderer Fakultäten wurden zeitweilig von Angehörigen der Abteilung –K– besucht und hierbei keine besonderen Vorkommnisse festgestellt.
Gegen 10,30 Uhr erschien bei der Einsatzleitung der Abteilung –K– der Prorektor der Universität und teilte mit, dass bei ihm mehrere Studentendelegationen gewesen wären und Auskunft über den Verbleib des Studenten der medizinischen Fakultät Jörg [geschwärzt] verlangten. [Geschwärzt] sollte am 30.3.55 gegen 7,00 Uhr aus dem Studentenwohnheim Fleischerwiese 6 unter dem Vorwand, dass er zum Prorektorat kommen sollte abgeholt worden sein. Dem Prorektor war hiervon jedoch nichts bekannt. Bei der Überprüfung dieser Angelegenheit wurde festgestellt, dass [geschwärzt] vom SfS festgenommen wurde. Der Prorektor wurde vom Leiter der Dienststelle des SfS über das weitere Verhalten in dieser Angelegenheit unterrichtet.
In den Mittags- und Nachmittagsstunden des 30.3.55 wurde von allen Streifengruppen in den umliegenden Straßen der Universität, den dazugehörigen Kliniken und der Hauptstraße Gruppen von Studenten in Stärke von 10–15 Personen und auch weniger beobachtet. Diese Gruppen gingen nach wenigen Minuten auseinander und gesellten sich dann jeweils wieder zu anderen Gruppen. Vielfach lösten sich diese Gruppen bei Ansicht einer VP-Streife unverzüglich auf. Besondere Vorkommnisse waren hierbei nicht zu verzeichnen.
Aus Diskussionen und Informationen wurde bekannt, dass die medizin. Fakultät während der Sitzung des Fakultätsrates eine Protestdemonstration durchzuführen beabsichtigte. Treffpunkt zu dieser Demonstration sollte um 19,00 Uhr der Hof der Medizinischen Klinik sein. Massnahmen zur Zerschlagung dieser Aktion wurden unverzüglich eingeleitet. Es wurden alle verfügbaren Kräfte der Abt. K sowie 2 Gruppen zu je 1:17 der Bereitschaft zur Universität entsandt. Bei Eintreffen der Einsatzkräfte hatten sich ca. 120 Studenten auf dem Hof der Mediz. Klinik versammelt. Nach den Informationen der Kampfgruppen der Partei sollte eine Versammlung auf dem Hof durchgeführt werden. Von dem Parteisekretär der Universität wurde die Versammlung auf dem Hof untersagt und den Anwesenden mitgeteilt, dass um 20,00 Uhr in der Aula der Universität in Anwesenheit des 1. Sekretär der Bezirksleitung der SED, Gen. Mewis, eine Versammlung stattfindet. Als die Studenten der Aufforderung, den Hof zu verlassen, keine Folge leisteten, wurde dieser von den Angehörigen der Abteilung K und den Kampfgruppen auf Anordnung des Gen. VP-Kommandeur Strauss geräumt. Auf die Bekanntmachung des Parteisekretärs antworteten die Studenten mit Zischen und Pfeifen. Hauptaufgabe der Einsatzkräfte der Abt. K war es, die Organisatoren und Rädelsführer dieser Zusammenrottung festzustellen. Infolge des Durcheinanders nach der Räumung konnten keine Rädelsführer festgestellt werden. Hiernach verliessen die Studenten gruppenweise den Hof und begaben sich zur Aula in die Domstr.
Kurz vor 20,00 Uhr stand ein Student in dem voll besetzten Saal der Aula auf und erklärte den Anwesenden, dass er mit Prof. Bommer gesprochen hätte und von diesem erfuhr, dass die heutige Versammlung nicht von der mediz. Fakultät einberufen wäre sondern nur von der FDJ. Nach dieser Mitteilung standen fast alle Anwesenden auf und verliessen den Saal. An der Tür wurde bekannt gegeben, dass die Versammlung doch stattfindet. Daraufhin drängten die bereits draussen Stehenden die noch aus dem Saal kommenden Studenten zurück. Hierdurch kam es zu Drängeleien und Anpöbeleien. In diese Drängelei geriet auch der Gen. Mewis, der zu dieser Zeit die Universität betrat. Da der im Inneren der Aula eintretende Tumult sich auch auf die Strasse auszudehen drohte, wurde ein Zug der VP-Bereitschaft zur Räumung [der Straße] und des Flures eingesetzt. Der vorangegangenen Aufforderung, zur freiwilligen Räumung der Strasse und des Flures, war nicht Folge geleistet worden. Hierbei wurden insgesamt 211 Personen der Strafvollzugsanstalt in der Domstr. wegen ungebührlichen Benehmens usw. zugeführt. Zur Vernehmung dieser Studenten wurden 12 Angehörige der Abt. K in die Domstr. entsandt. Im Laufe der Nacht schalteten sich Angehörige der Dienststelle des SFS mit ein und übernahmen gegen morgen sämtliche Unterlagen und Personen. Der weitere Sachverhalt ist nicht bekannt.
Die Versammlung in der Aula verlief ohne Störungen. Die Rede des Gen. Mewis wurde mit Beifall aufgenommen.
Bis gegen 24,00 Uhr tauchten verschiedentlich kleinere Gruppen von Studenten im Stadtgebiet auf, die sich jedoch wieder zerstreuten. Danach waren keine besonderen Vorkommnisse zu verzeichnen.
Im Verlauf der Ermittlungen über die Vorkommnisse in der Aula wurde festgestellt, dass es sich bei der vorher genannten Person um den Studenten der mediz. Fakultät [geschwärzt, handschriftlich wieder eingesetzt:] Rintelen geb. 7.9.29, wohnh. Greifswald, Burgstr. 7, handelt.
R. hatte angeblich im Auftrag des Prof. Bommer die Versammlung auflösen wollen. Nach Bekanntwerden der Personalien wurden sofort Einsatzgruppen zur Ermittlung des Rintelen ausgesandt. Als R. gegen 01,15 Uhr noch nicht in seine Wohnung zurückgekehrt war wurde diese durch 2 Angehörige der Abteilung –K– besetzt.
Gleichzeitig wurde Fahndung ausgelöst und Handzettel mit Personalien und Personenbeschreibung des R. sowie dessen Lichtbilder an alle Streifen der Abt. S, VK, K und Bereitschaft ausgegeben.
In den Vormittagsstunden des 31.3.55 waren keine besonderen Vorkommnisse zu verzeichnen. Der Unterrichtsbetrieb an der Universität verlief regelmässig. Die angesetzten Vorlesungen wurden durchgeführt und waren alle gut besucht. Lediglich in der Univ.-Hautklinik fiel die angesetzte Vorlesung wegen mangelnder Beteiligung aus. Die Hauptkräfte wurden zur Ermittlung des Rintelen eingesetzt. Bei den hierzu geführten Ermittlungen wurde festgestellt, dass eine Anzahl von Professoren und Dozenten die Studenten die Massnahmen der Studenten für richtig befanden und unterstützten. Besonders in Erscheinung traten die Professoren Bommer, Hartmann, Beyer, Wegner, Zinser und seit dem 30.3. auch der Rektor, Prof. Katsch. Eingehende Ermittlungen in der Angelegenheit werden am 1.4.55 in Zusammenarbeit mit der Abt. U geführt.
[handschriftlich am linken Rand: 31.3.]
Um 14,15 Uhr wurde der Einsatzleitung der Abt. K. mitgeteilt, dass in der Jakobikirche ein Brand ausgebrochen ist. Eine Einsatzgruppe der Abt. K, bestehend aus 8 Genossen, begab sich unverzüglich zum Brandort. Die Absperrmassnahmen wurden von Angehörigen der VP-Bereitschaft vorgenommen. Die BK Stralsund wurde angefordert und traf gegen 18,34 Uhr ein und nahm sofort die Ermittlungen am Brandort auf.
Der Stand der Ermittlungen am 1.4.55 um 15,00 Uhr ist folgender: Sämtliche Zeugen wurden vernommen. Der Brandraum ist das Erdgeschoss des Turmes und zwar die sogenannte Winterkirche. Hier wurde zur fraglichen Zeit ein Kachelofen durch den zuständigen Heizer befeuert. Die ersten Augenzeugen sahen, dass es in unmittelbarer Umgebung dieses Ofens zuerst brannte. Die durchgeführte Tatortbesichtigung ergab, dass die Ursache des Brandes auf eine Überhitzung des Ofen einmal und eine falsche Bauart der Empore (Balkon in der Winterkirche) zum Anderen zurückzuführen ist. Die Holzträger der Empore lagen zum Teil unmittelbar auf der Oberfläche des Ofens. Abgesehen von dieser Ursache bestehen noch weitere Möglichkeiten der vorsätzlichen Brandstiftung. Die Ermittlungen hierüber sind aber noch nicht abgeschlossen. Der Gesamtschaden beläuft sich, abgesehen von dem Wert der zerstörten Orgel, auf ca. 40.000,-- DM. Die Orgel selbst soll einen Wert von 150 – 200.000,-- DM haben.
Während des Brandes wurden 9 Filme von Personen eingezogen, die Aufnahmen vom Brand sowie der Ansammlung der Bevölkerung gemacht hatten. Ermittlungen über die Personen sind noch nicht abgeschlossen. Um 21,10 Uhr wurde bekannt, dass in der Zeit von 18,40 – 19,00 Uhr ein Ferngespräch von einer Studentin aus Wusterhusen mit einem Studenten in Greifswald Telef.Nummer 2804 geführt wurde. Von dem Studenten aus Greifswald wurde hierbei angeführt, dass er am vergangenen Abend ins Gefängnis eingeliefert wurde und erst am nächsten Tag entlassen wurde. Er führte weiter an, dass im Gefängnis katastrophale Zustände wären. Über den Kirchenbrand teilte er mit, dass dieser mit der Jugendweihe in Zusammenhang zu bringen sei. Die Feuerwehr hätte sich nicht viel Mühe bei der Bekämpfung des Brandes gemacht und wäre erst sehr spät dort eingetroffen.
Quelle: Robert-Havemann-Gesellschaft (BStU-Kopie)
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