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Protokoll der Außerordentlichen Fakultätssitzung der Medizinischen Fakultät am 30. März 1955. Während dieser Sitzung informiert der Staatssekretär Gerhard Harig die Universitätsleitung über die Pläne der Regierung: Die Medizinische Fakultät wird in eine Militäreinrichtung umgewandelt. Zeitgleich eskalieren die Ereignisse in der Aula der Universität: Über 200 Studenten werden verhaftet und in das nahe gelegene Untersuchungsgefängnis abgeführt. Quelle: Universitätsarchiv Greifswald, Seite 2 von 5
Abschrift:
Protokoll der Außerordentlichen Fakultätssitzung der Medizinischen Fakultät
Außerordentliche Fakultätssitzung der Medizinischen Fakultät
am 30. März 1955, 19 Uhr c.t.
in der Bibliothek der Medizinischen Klinik der Universität Greifswald
Anwesend sind: Staatssekretär Prof. Dr. Harig
Prof. Dr. Gelbke von der Volkspolizei Berlin
die Herren: der Dekan, Herr Bommer, Schwarz, Wels, Katsch, Volkmann, Wegner, Briegel, Plötz, Holle, Zinser, Günther, Moser, Tartler, Amon, Gülzow, Müller, Elsaesser, Mohaupt und Hartmann
Entschuldigt fehlen: die Herren Röhrer und Schmitt
Der Dekan gibt um 19.15 Uhr bekannt, dass die Fakultätssitzung noch nicht eröffnet werden könne, da Herr Staatssekretär Harig den Wunsch geäußert habe, von Anfang an der Fakultätssitzung beizuwohnen.
Um 19.20 Uhr erscheint der Staatssekretär und schlägt vor, da die Beratung ja über den Ministerratsbeschluss stattfinden soll, einen Vertreter der Volkspolizei aus Berlin hinzuzuziehen, der in der Medizin. Klinik wartet. Dieser Vertreter der Volkspolizei, Herr Prof. Gelbke, wird durch Herrn Müller zur Sitzung geholt.
Beginn der Sitzung um 19.20 Uhr.
Herr Harig geht auf das Schreiben des Rektors bezüglich Regierungsbeschluss ein und betont, dass es ein unabänderlicher Beschluss sei, dass keine Zivilstudenten, außer in Examen stehende Studenten, ab 1. Sept. ds. Js. in Greifswald an der Medizinischen Fakultät unterrichtet werden dürften. Es wird gleichzeitig betont, dass es sich bei der Durchführung dieses Regierungsbeschlusses nicht um die Einrichtung einer Militärakademie handele. Das Studium, die Forschungsarbeiten sollten unverändert weitergehen, sogar eine Erweiterung erfahren, die auf freiwilliger Basis erfolgen würde. Im Klinikbereich und auch im Lehrkörper sollten keine Änderungen vorgenommen werden. Es sollte keiner in ein dienstliches Verhältnis zur Volkspolizei kommen.
Auf Anfrage des Rektors wird nochmals der Termin bekannt gegeben für den Beginn des Polizeistudiums. Es ist Anfang September ds. laufenden Jahres.
Von Seiten der Fakultät wird darauf hingewiesen, dass die Notwendigkeit, in Greifswald nur Polizeiärzte auszubilden, zunächst nicht verständlich erscheint.
Daraufhin wird von Seiten des Vertreters der Volkspolizei als Erklärung dafür bekannt gegeben, dass die Kapazität in Greifswald gerade eben für die Belange der Volkspolizei ausreichend sei, und dass man nicht Plätze, die sonst von Volkspolizei besetzt werden könnten, an Zivilstudenten abgeben könne.
Herr Harig entgegnet auf eine Anfrage aus der Fakultät nach Durchführungsbestimmungen, daß man zweierlei nicht durcheinander bringen sollte:
1) die Studienangelegenheit
2) den Beschluss der Fakultät.
Herr Harig wünscht eine Beschlussfassung, in die Stellungnahme der Fakultät eindeutig zum Ausdruck gebracht würde und beruhigend auf die Studenten einwirken könne.
Vom Dekan wird betont, daß sich bisher die Studenten keiner Disziplinlosigkeit schuldig gemacht hätten, und dass sie stets hätten beruhigt werden können. Nur sei die Situation durch die üblichen Gepflogenheiten entgegengesetzte Verfahrensweise bedingt. Es wäre durch eingehende Beratungen innerhalb der Fakultät und durch eine klare Stellungnahme die ganze Situation sicherlich zu vermeiden gewesen. Von Seiten der Fakultät wird weiter darauf hingewiesen, dass im Sinne der Aufrechterhaltung der Betriebsfähigkeit der Kliniken und Institute doch die Möglichkeit diskutiert werden sollte, den Beschluss irgendwie zu modifizieren.
Herr Harig betont nochmals, dass der Beschluss unabänderlich bleibe.
Inzwischen ist eine Abordnung der Studenten in der Med. Klinik erschienen und teilt dem Dekan mit, dass die Studenten in der Aula als Gefangene gehalten würden.
Der Rektor schlägt daraufhin vor, doch möglichst den Lehrkörper und die Studenten zusammenzuführen, um eine endgültige Aussprache herbeizuführen. Es brauchte nicht sofort zu sein, vielleicht für den nächsten Tag anberaumt zu werden. Auch der Dekan drängt darauf, den Zustand in der Aula zu beenden.
Herr Harig fordert zunächst die Stellungnahme der Fakultät. Die Vertreter des Lehrkörpers sollen sich darüber klar werden, ob sie geneigt seien, den Beschluss durchzuführen oder nicht.
Von Seiten der Fakultät wird noch einmal darauf hingewiesen, daß die Ausschließlichkeit das entscheidende Moment sei, daß keine gewissen Reserven in der Fakultät gegenüber dem Regierungsbeschluß bestehen. Es gäbe zwischen Lehrkörper und Studentenschaft wesentliche Bindungen in Greifswald, die aufgrund der Ausschließlichkeit des Studiums von Volkspolizei zu lösen wären und damit besonders die Nachwuchsfrage, die Assistentenfrage, in eine andere bedenkliche Phase zu kommen drohe.
Herr Mohaupt rät dazu, den Beschluss nicht von persönlichen Dingen abhängig zu machen und eine klare Stellungnahme vorzunehmen, damit den Vorgängen in der Aula noch Einhalt geboten werden könne.
Bezüglich der Beibehaltung von Hilfsassistenten betont Herr Gelbke, es sei jedem freigestellt, den Übertritt zur Volkspolizei zu vollziehen. Die Ausschließlichkeit des Polizeistudiums sei aber mit Rücksicht auf die Kapazität in Greifswald notwendig.
Herr Harig weist darauf hin, dass auch aus den Reihen der Volkspolizei dann Nachwuchs-Assistenten zu erhalten wären.
Inzwischen laufen neue Meldungen ein, dass sich die Zwischenfälle in der Aula stark zugespitzt haben und zahlreiche verhaftete Studenten abtransportiert werden.
Der Dekan gibt eine Erklärung ab, wonach die Medizinische Fakultät davon Kenntnis genommen hat, dass der Regierungsbeschluss unabänderlich ist und bereit ist, diesen durchzuführen.
Inzwischen hat es sich als notwendig herausgestellt, daß der Rektor zusammen mit Herrn Mohaupt sich umgehend zur Aula begeben, um dort beruhigend einzuwirken. In der Sitzung soll inzwischen die endgültige Formulierung des Beschlusses beraten werden.
Es erhebt sich eine lebhafte Diskussion über diese Formulierung, bei der mehrere Vorschläge zusätzlicher Bemerkungen teils vom Dekan, teils von der Fakultät, abgelehnt werden. Schließlich kommt es zu folgender endgültiger Formulierung des Beschlusses:
"Die Medizinische Fakultät der Ernst-Moritz-Arndt-Universität Greifswald hat davon Kenntnis genommen, dass der Regierungsbeschluss über das Medizinstudium von Angehörigen der Volkspolizei an unserer Universität unabänderlich ist.
Ihre Zustimmung kommt dadurch zum Ausdruck, dass jeder Angehörige der Fakultät nach besten Kräften zur Durchführung dieses Beschlusses beitragen wird.
Die Fakultät fordert die Studentenschaft auf, Ruhe und Ordnung zu bewahren und das Studium ordnungsgemäß weiterzuführen.
Greifswald, den 30. März 1955.
Der Rektor Der Dekan.
gez. Prof. Dr. Katsch gez. Prof. Dr. Bommer
Nach dieser Formulierung unterzeichnet der Dekan die Stellungnahme der Fakultät. Die Unterzeichnung durch den Rektor soll nach dessen Rückkehr von der Aula erfolgen. Das ist am gleichen Abend nach Schluss der Fakultätssitzung geschehen.
Um 22 Uhr kommt ein Anruf des Rektors, der mitteilt, dass in der Aula Ruhe herrsche, er selbst sich zur Polizei begebe, um nach den Studenten zu sehen. Von Seiten der Polizei habe man mitgeteilt, dass es sich nicht um eine Verhaftung der Studenten handele, sondern um eine Maßnahme zur Feststellung der Personalien. Es solle bei Vorliegen einwandfreier Ausweispapiere eine umgehende Freilassung stattfinden.
Darauf schließt der Dekan die Sitzung um 22.03 Uhr.
Die Angehörigen der Fakultät verbleiben noch im Sitzungssaal und warten auf die Rückkehr des Rektors.
Greifswald, den 31. März 1955
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