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Aufstand 53 - 17. Juni 1953_RHG_Fak_0466

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Aufstand 53
Hü und hott bei der SED: Politbüro und DDR-Ministerrat gestehen ein, dass sie in der Vergangenheit Fehler begangen haben. Die sollen nun korrigiert werden. Doch im ganzen Land rumort es bereits unüberhörbar. Zehntausende haben in den letzten Monaten die DDR in Richtung Westen verlassen. Die umstrittene Normenerhöhung wird durch das Politbüro allerdings nicht zurückgenommen. Sie wird zum Auslöser des Volksaufstands vom 17. Juni 1953. Quelle: Neues Deutschland, 12. Juni 1953, S. 1


Abschrift:

SED-Politbüro und DDR-Ministerrat gestehen ein, daß sie in der Vergangenheit eine Reihe von Fehlern begangen haben. Die umstrittene Normenerhöhung wird allerdings nicht zurückgenommen.


Berlin, Freitag, 12. Juni 1953


KOMMUNIQUÉ
über die Sitzung des Ministerrats der DDR vom
11. Juni 1953


Das Presseamt beim Ministerpräsidenten teilt mit:

Der Ministerrat hat in seiner Sitzung vom 11. Juni 1953 eine Anzahl von Maßnahmen beschlossen, durch welche die auf den verschiedensten Gebieten begangenen Fehler der Regierung und der staatlichen Verwaltungsorgane korrigiert werden. Durch die jetzt vom Ministerrat beschlossenen Maßnahmen wird die Verbesserung der Lebenshaltung der Arbeiter und der Intelligenz, der Bauern und Handwerker und der übrigen Schichten des Mittelstandes eingeleitet.
Bei der Begründung der entsprechenden Verordnungen und Beschlüsse ging der Ministerpräsident von den verschiedenen Maßnahmen der Vergangenheit aus, die sich als fehlerhaft erwiesen haben. Der Ministerpräsident führte diese Fehler, wie sie zum Beispiel bei der Lebensmittelkartenversorgung, bei Erfassungsmaßnahmen, bei Steuererhebung und bei anderen Maßnahmen begangen wurden, darauf zurück, dass erhebliche Mittel im Staatshaushalt für Aufwendungen in Betracht gezogen wurden, die nicht im Fünfjahrplan vorgesehen waren. Außerdem wurden für das nächste Planjahr vorgesehene Aufgaben zum Teil in das Planjahr 1953 einbezogen und bestimmte Teile des Fünfjahrplans wurden zugunsten der Entwicklung der Schwerindustrie zu früh von 1955 auf 1952 und 1953 verlagert.
Die dadurch entstandene und durch Rückstände in der vorjährigen Ernte sowie durch Ablieferungsrückstände verschärfte Lage versuchte die Regierung in der zurückliegenden Zeit durch eine Anzahl von Maßnahmen zu meistern, die sich in ihrer Wirkung als falsch erwiesen haben. "Die unverzügliche Korrektur der entsprechenden Verordnungen", erklärte der Ministerpräsident, "wird zur Verbesserung der Lebenshaltung unserer Bevölkerung führen und die Verbundenheit der Bevölkerung mit der Regierung stärken und festigen. Eine solche Politik unserer Regierung entspricht zugleich dem Grundinteresse der Annäherung und Verständigung aller deutschen Patrioten im Kampfe für die Einheit Deutschlands und den Frieden."
In einer gründlichen Aussprache, an der sich der Stellvertreter des Ministerpräsidenten Walter Ulbricht, der Stellvertreter des Ministerpräsidenten Nuschke, der Stellvertreter des Ministerpräsidenten Loch, der Stellvertreter des Ministerpräsidenten Rau, die Minister Steidle, Feldmann, die Vorsitzende der Staatlichen Kommission für Handel und Versorgung, Elli Schmidt, und Staatssekretär Hafrang beteiligten, wurden die durch den Ministerpräsidenten erfolgte Klarstellung der begangenen Fehler anerkannt und die von ihm begründeten neuen Beschlüsse allseitig unterstützt. Der Ministerrat erteilte diesen Beschlüssen seine Zustimmung. Durch diese Beschlüsse wird ein aus den gegenwärtigen Engpässen herausführender Entwicklungsprozess eingeleitet. In der nächsten Zeit werden Veränderungen des Fünfjahrplanes durchgeführt werden, welche die weitere Verbesserung der Lebenslage ermöglichen.
Der Ministerrat fasste folgende Beschlüsse:
Die Beschränkungen für die Ausgabe von Lebensmittelkarten werden aufgehoben. Ab 1. Juli 1953 werden an alle Bürger der Deutschen Demokratischen Republik und des demokratischen Sektors von Groß-Berlin wieder Lebensmittelkarten wie früher ausgegeben.
Bei der Handelsorganisation (HO) werden die Preise für zuckerhaltige Erzeugnisse, wie Süßwaren, Dauerbackwaren, Feinbackwaren sowie Kunsthonig mit 10 Prozent Bienenhonig auf den Stand zurückgeführt, der für diese Preise am 19. April 1953 gegeben war. Das gleiche gilt für den Preis für Marmelade aller Art, Kunsthonig und Fruchtsirup. Die Preisherabsetzung tritt mit dem 15. Juni 1953 in Kraft.
In der gesamten Wirtschaft, bei Klein-, Mittel- und Großbauern, Handwerkern, Einzel- und Großhändlern, privaten Industrie-, Bau- und Verkehrsbetrieben sind Zwangsmaßnahmen zur Beitreibung von Rückständen an Steuern und Sozialversicherungsbeiträgen, die aus der wirtschaftlichen Tätigkeit in der Zeit bis zum Ende des Jahres 1950 entstanden sind, auszusetzen.
Handwerker, Einzel- und Großhändler, private Industrie-, Bau- und Verkehrsbetriebe erhalten auf Antrag ihre Betriebe zurück. Kurzfristige Kredite sind zu gewähren.
Ab 1. Juli 1953 ist die Fahrpreisermäßigung in Höhe von 50 Prozent bei Arbeiterrückfahrkarten auf alle berechtigten Personen ohne Rücksicht auf die Höhe ihres Einkommens auszudehnen. Darüber hinaus ist die bis zum 1.April 1953 gewährte Fahrpreisermäßigung für Schwerbeschädigte, Schüler, Studenten, Lehrlinge und Kleingärtner wieder einzuführen. Ebenso ist die bis zum 1. April 1953 gewährte Fahrpreisermäßigung für Sonntagsrückfahrkarten, Schichtarbeiter-Rückfahrkarten und Gesellschaftsfahrten ab 1. Juli 1953 wieder einzuführen.
Härten bei der Sozialversicherung und der Sozialfürsorge werden beseitigt und die Leistungen werden auf den ursprünglichen Stand gebracht.
Landwirtschaftliche Betriebe, deren Eigentümern aufgrund einer Verordnung vom 19. Februar 1953 die weitere Bewirtschaftung untersagt wurde, werden zurückgegeben.
Republikflüchtige Personen, die in das Gebiet der Deutschen Demokratischen Republik und den demokratischen Sektor von Berlin zurückkehren, erhalten ihr Eigentum zurück. Die Rückkehrer sind in ihre vollen Bürgerrechte einzusetzen und entsprechend ihrer Qualifikation in das wirtschaftliche und gesellschaftliche Leben einzugliedern.
Bauern, die im Zusammenhang mit Schwierigkeiten in der Weiterführung ihrer Wirtschaft ihre Höfe verlassen haben und republikflüchtig geworden sind, können auf ihre Höfe zurückkehren. Wenn in Ausnahmefällen die Rückgabe ihres landwirtschaftlichen Besitzes nicht möglich ist, so erhalten sie vollwertigen Ersatz.
Das Justizministerium und der Generalstaatsanwalt haben alle Verhaftungen, Strafverfahren und Urteile zur Beseitigung etwa vorliegender Härten sofort zu überprüfen.
Der Ministerrat nahm zustimmend von den Vereinbarungen Kenntnis, die der Ministerpräsident mit den Vertretern der Kirche getroffen hat.


Verordnung
vom 11. Juni 1953 über die Aufhebung der Beschränkungen bei der Ausgabe der Lebensmittelkarten für das Gebiet der DDR und den demokratischen Sektor von Groß-Berlin

§ 1
Alle mit der Verordnung vom 9. April 1953 über die Neuregelung der Lebensmittelkartenversorgung in der DDR und im demokratischen Sektor von Groß-Berlin
und mit der Verordnung vom 9. April 1953 über die Ausgabe von Lebensmittelkarten in der Deutschen Demokratischen Republik und im demokratischen Sektor von Groß-Berlin ausgesprochenen Beschränkungen bei der Ausgabe von Lebensmittelkarten werden aufgehoben.

§ 2
An alle Bürger der DDR und des demokratischen Sektors von Groß-Berlin sind ab 1. Juli 1953 wieder Lebensmittelkarten entsprechend den gesetzlich festgelegten Tätigkeitsmerkmalen oder sonstigen Bestimmungen auszugeben.


Verordnung
vom 11. Juni 1953 über die in das Gebiet der Deutschen Demokratischen Republik und den demokratischen Sektor von Groß-Berlin zurückkehrenden Personen

§ 1
Alle republikflüchtigen Personen, die in das Gebiet der Deutschen Demokratischen Republik und den demokratischen Sektor von Groß-Berlin zurückkehren, erhalten das auf Grund der Verordnung vom 17. Juli 1952 zur Sicherung von Vermögenswerten beschlagnahmte Eigentum zurück. Ist in Einzelfällen eine Rückgabe dieses Eigentums nicht möglich, so ist Ersatz zu leisten.

§ 2
Die Verordnungen vom 17. Juli 1952 und vom 19. Februar 1953 betreffend Übernahme devastierter Betriebe werden aufgehoben. Es wird untersagt, in landwirtschaftlichen Betrieben wegen Nichterfüllung der Ablieferungsverpflichtungen oder wegen Steuerrückständen Treuhänder einzusetzen.
Die Bauern, die im Zusammenhang mit Schwierigkeiten in der Weiterführung ihrer Wirtschaft ihre Höfe verlassen haben und nach Westberlin oder Westdeutschland geflüchtet sind (Kleinbauern, Mittelbauern und Großbauern), können auf ihre Bauernhöfe zurückkehren. Ist eine Rückgabe ihres landwirtschaftlichen Betriebes in Ausnahmefällen nicht möglich, so erhalten sie vollwertigen Ersatz.

Es wird ihnen mit Krediten und landwirtschaftlichem Inventar geholfen, ihre Wirtschaften weiterzuführen.

§ 3
Alle übrigen Rückkehrer sind in gleicher Weise durch die zuständigen Organe der Räte der Bezirke und Kreise entsprechend ihrer fachlichen Qualifikation wieder in das wirtschaftliche und gesellschaftliche Leben einzugliedern. Den zurückkehrenden Republikflüchtigen darf allein aus der Tatsache der Republikflucht keine Benachteiligung entstehen.

§ 4
Die Rückkehrer sind in ihre vollen Bürgerrechte einzusetzen. Sie erhalten den Deutschen Personalausweis, die ihnen zustehende Lebensmittelkarte usw.


Verordnung
vom 11. Juni 1953 über die Aufhebung der Verordnung zur Sicherung der landwirtschaftlichen Produktion und der Versorgung der Bevölkerung

Die Regierung der Deutschen Demokratischen Republik hat die Auswirkungen der Verordnung vom 19. Februar 1953 zur Sicherung der landwirtschaftlichen Produktion und der Versorgung der Bevölkerung überprüft und beschließt:

§ 1
Die Verordnung vom 19. Februar 1953 zur Sicherung der landwirtschaftlichen Produktion und der Versorgung der Bevölkerung wird aufgehoben.

§ 2
(1)
Landwirtschaftliche Betriebe, deren Eigentümern auf Grund der Verordnung vom 19. Februar 1953 die weitere Bewirtschaftung untersagt wurde und die deshalb in die Verwaltung der Räte der Kreise genommen wurden, sind den Eigentümern zurückzugeben.
(2)
Pächtern landwirtschaftlicher Betriebe, denen auf Grund der Verordnung vom 19. Februar 1953 die weitere Bewirtschaftung untersagt wurde und die deshalb in die Verwaltung des Rates des Kreises genommen wurden, sind die Wirtschaften unter den Bedingungen des abgeschlossenen Pachtvertrages zurückzugeben.



(3)
Personen, die das Gebiet der Deutschen Demokratischen Republik verlassen haben und die deshalb nach der Verordnung vom 17. Juli 1952 behandelt wurden, können in das Gebiet der Deutschen Demokratischen Republik zurückkehren und erhalten ihre landwirtschaftlichen Betriebe zurück.

§ 4
Bei der Rückgabe von Betrieben, die sich in staatlicher Verwaltung befinden, ist den früheren Eigentümern das zum Zeitpunkt des Verlassens vorhanden gewesene Inventar zurückzugeben.
Bei Übernahme von Grundstücken mit anstehender Ernte sind die Aufwendungen für die Frühjahrsbestellung und die Pflegearbeiten zu bezahlen.

§ 5
Entsteht bei der Rückgabe von landwirtschaftlichen Betrieben, die in die Verwaltung des Staates übergegangen sind und zur Zeit von einer Landwirtschaftlichen Produktionsgenossenschaft bewirtschaftet werden, eine ernste Gefährdung der Existenz der Landwirtschaftlichen Produktionsgenossenschaft, so sind den Eigentümern gleichwertige Betriebe aus öffentlicher Hand zum Ausgleich anzubieten. Die Verhandlung über den Ausgleich sind vom Rat des Bezirks zu führen.

§ 6
Um den Eigentümern bzw. den Besitzern der zurückgegebenen Betriebe die Wiederaufnahme der Bewirtschaftung zu ermöglichen, werden das Ministerium der Finanzen und die Deutsche Bauernbank beauftragt, Kredite zur Verfügung zu stellen und besondere Kreditrichtlinien auszuarbeiten.
Konten der Eigentümer, die für die Zeit der Bewirtschaftung durch den Staat gesperrt waren, werden freigegeben.
Konten zurückgekehrter Republikflüchtiger werden vom Ministerium für Finanzen bei Rückgabe des landwirtschaftlichen Betriebes ebenfalls freigegeben.

§ 7
Das Ministerium der Justiz wird angewiesen, eine Überprüfung der gegen Bauern ergangenen Gerichtsurteile zu veranlassen.

§ 8
Das Ministerium für Land- und Forstwirtschaft wird beauftragt, alle für die Durchführung dieser Verordnung notwendigen Maßnahmen einzuleiten und durchzuführen.



Quelle: Neues Deutschland, vom 12. Juni 1953, S. 1

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