Die blutige Niederschlagung des Prager Frühlings im August 1968 erschüttert bei vielen Menschen den Glauben an einen demokratischen Sozialismus tief. In der DDR bekunden viele spontan ihre Solidarität mit den von Dubcek eingeleiteten Reformen. Quelle: BStU, MfS, Ast 102/83 HA Bd.1, S.34
Ja zu Reformen: Nach dem Einmarsch von Truppen tauchen in vielen Orten der DDR Solidaritätsbekundungen mit den Ideen des Prager Frühlings auf. Die Losung im Bild schreibt ein 18-jährige Oberschüler in der Nacht vom 23. zum 24. August 1968 an eine Kirchenmauer in Mylau. Quelle: BStU, MfS, Ast. Chemnitz ASt 2339/68 Bd.1, S.57
Auch in Sachsen hagelt es Protest: In Naundorf (nahe Freiberg) registriert die Staatssicherheit Plakate gegen den Einmarsch der Warschauer-Pakt-Truppen in die CSSR. Quelle: BStU, MfS, BV Karl Marx-Stadt, AU 744/69, Bd. 1, Bl. 4
Auch in Sachsen hagelts Protest: Zwei Jugendliche (19 und 17 Jahre alt) setzen mit selbst gefertigten Plakaten ein Zeichen gegen den Einmarsch in die CSSR. Sie beschriften am 25. August 1968 zwei große Pappen und bringen sie an der Bäckerei sowie am Rat der Gemeinde ihres Heimatortes Naundorf (nahe Freiberg) an. Wegen "staatsfeindlicher Hetze und Staatsverleumdung" werden sie zu einer Freiheitsstrafe von einem Jahr und vier Monaten sowie wegen "Staatsverleumdung" zu einer Bewährungsstrafe von zehn Monaten verurteilt. Quelle: BStU, MfS, Ast. Chemnitz, 744/69 Bd. 1
In Anspielung auf den Generalsekretär des Zentralkomitees der SED, Walter Ulbricht, hat ein Unbekannter dieses Plakat an den Gartenzaun der Fichte-Oberschule in Mittweida gehängt. Quelle: BStU, MfS, Ast. Chemnitz Ha-27, Bd.2
In Schwerin schreibt ein 21-jähriger Flugblätter gegen den Einmarsch der Warschauer-Pakt-Truppen in die CSSR und verteilt diese in Hausbriefkästen in seiner Wohngegend. Quelle: BStU, MfS, BV Schwerin, AU 11/69, GA Bd. 3, Bl. 147, Seite 1 von 10
In Schwerin schreibt ein 21-jähriger Flugblätter gegen den Einmarsch der Warschauer-Pakt-Truppen in die CSSR und verteilt diese in Hausbriefkästen in seiner Wohngegend. Quelle: BStU, MfS, BV Schwerin, AU 11/69, GA Bd. 3, Bl. 148, Seite 2 von 10
In Schwerin schreibt ein 21-jähriger Flugblätter gegen den Einmarsch der Warschauer-Pakt-Truppen in die CSSR und verteilt diese in Hausbriefkästen in seiner Wohngegend. Quelle: BStU, MfS, BV Schwerin, AU 11/69, GA Bd. 3, Bl. 149, Seite 3 von 10
In Schwerin schreibt ein 21-jähriger Flugblätter gegen den Einmarsch der Warschauer-Pakt-Truppen in die CSSR und verteilt diese in Hausbriefkästen in seiner Wohngegend. Quelle: Schw_AU_11_69_GA_Bd_3_Bl_150, Seite 4 von 10
In Schwerin schreibt ein 21-jähriger Flugblätter gegen den Einmarsch der Warschauer-Pakt-Truppen in die CSSR und verteilt diese in Hausbriefkästen in seiner Wohngegend. Quelle: BStU, MfS, BV Schwerin, AU 11/69, GA Bd. 3, Bl. 151, Seite 5 von 10
In Schwerin schreibt ein 21-jähriger Flugblätter gegen den Einmarsch der Warschauer-Pakt-Truppen in die CSSR und verteilt diese in Hausbriefkästen in seiner Wohngegend. Quelle: BStU, MfS, BV Schwerin, AU 11/69, GA Bd. 3, Bl. 152, Seite 6 von 10
In Schwerin schreibt ein 21-jähriger Flugblätter gegen den Einmarsch der Warschauer-Pakt-Truppen in die CSSR und verteilt diese in Hausbriefkästen in seiner Wohngegend. Quelle: BStU, MfS, BV Schwerin, AU 11/69, GA Bd. 3, Bl. 153, Seite 7 von 10
In Schwerin schreibt ein 21-jähriger Flugblätter gegen den Einmarsch der Warschauer-Pakt-Truppen in die CSSR und verteilt diese in Hausbriefkästen in seiner Wohngegend. Quelle: BStU, MfS, BV Schwerin, AU 11/69, GA Bd. 3, Bl. 154, Seite 8 von 10
In Schwerin schreibt ein 21-jähriger Flugblätter gegen den Einmarsch der Warschauer-Pakt-Truppen in die CSSR und verteilt diese in Hausbriefkästen in seiner Wohngegend. Quelle: BStU, MfS, BV Schwerin, AU 11/69, GA Bd. 3, Bl. 155, Seite 9 von 10
In Schwerin schreibt ein 21-jähriger Flugblätter gegen den Einmarsch der Warschauer-Pakt-Truppen in die CSSR und verteilt diese in Hausbriefkästen in seiner Wohngegend. Quelle: BStU, MfS, BV Schwerin, AU 11/69, GA Bd. 3, Bl. 156, Seite 10 von 10
"Russen raus aus der CSSR!" Diese Losung hat ein 19-jähriger auf der Bahnhofstraße in Bützow angebracht. Quelle: BStU, MfS, BV Schwerin, AU 11/69, GA Bd. 2, Bl. 59
Am 29. August 1968 registriert die Transportpolizei Losungen gegen den Einmarsch der Warschauer-Pakt-Truppen in die CSSR im Bahnhof von Pritzwalk. Quelle: BStU, MfS, BV Schwerin, AU 11/69, GA Bd. 4, Bl. 2, Seite 1 von 2
Am 29. August 1968 registriert die Transportpolizei Losungen gegen den Einmarsch der Warschauer-Pakt-Truppen in die CSSR im Bahnhof von Pritzwalk. Quelle: BStU, MfS, BV Schwerin, AU 11/69, GA Bd. 4, Bl. 2, Seite 2 von 2
Zwei Lehrlinge, 18 und 19 Jahre alt, bringen in der Nacht vom 28. zum 29. August 1968 7 Parolen gegen den Einmarsch der Warschauer-Pakt-Truppen im Bahnhof Pritzwalk an. Quelle: BStU, MfS, BV Schwerin, AU 11/69, GA Bd. 4, Bl. 217, Bild 1
Zwei Lerhlinge, 18 und 19 Jahre alt, bringen in der Nacht vom 28. zum 29. August 1968 7 Parolen gegen den Einmarsch der Warschauer-Pakt-Truppen im Bahnhof Pritzwalk an. Quelle: BStU, MfS, BV Schwerin, AU 11/69, GA Bd. 4, Bl. 218, Bild 2
Die Volkspolizei registriert am Morgen des 22. August 1968 Losungen gegen den Einmarsch der Warschauer-Pakt-Staaten in die CSSR an der Außenwand des Konsums in Neu-Gülze (Kreis Hagenow). Quelle: BStU, MfS, BV Schwerin, AU 11/69, GA Bd. 1, Bl. 1
"Ulbricht läßt wieder deutsche Soldaten schießen, er kommt Adolf gleich." Diese Losung bringt ein 18-jähriger Lehrling am 21. August 1968 an der Wand der Konsumverkaufsstelle in Neu-Gülze (Kreis Hagenow) an. Quelle: BStU, MfS, BV Schwerin, AU 11/69, GA Bd. 1, Bl. 84, Bild 1
"Ulbricht ist ein Schwein." Diese Losung bringt ein 18-jähriger Lehrling am 21. August 1968 an der Wand der Konsumverkaufsstelle in Neu-Gülze (Kreis Hagenow) an. Schon wenige Tage später wird er von der Staatssicherheit verhaftet. Quelle: BStU, MfS, BV Schwerin, AU 11/69, GA Bd. 1, Bl. 85, Bild 1
Haftbefehl gegen den 18-jährigen Lehrling aus Neu-Gülze. Am 6. Februar 1969 verurteilt ihn das Bezirksgericht Schwerin zu einer Freiheitsstrafe von 20 Monaten. Im April 1969 wird die Freiheitsstrafe zu einer Bewährungszeit von zwei Jahren ausgesetzt. Quelle: BStU, MfS. BV Schwerin, AU 11/69, HA Bd. 1, Bl. 7
Die Stasi protokolliert mit. Im Bild: Bericht des MfS über einen Jugendlichen, der sich in Lübbenau an Protestdemonstrationen gegen die Niederschlagung des Prager Frühlings beteiligt. Deswegen werden ihm vom MfS gewaltsam die Haare geschnitten. Quelle: Bundesarchiv / Stasi-Unterlagen-Archiv Abschrift
Übersicht zum "Anfall von selbstgefertigten Hetzschriften 1968", die der Staatssicherheitsdienst erstellt hat. Nicht einmal ein Viertel aller registrierten Protestaktionen konnte aufgeklärt werden. Quelle: BStU, MfS, ZA, HA XX, AGK Nr. 804, Bl. 33
Der 21. August 1968 ist ein schwülheißer Hochsommertag. Seit den frühen Morgenstunden verbreiten die Ostsender Erklärungen über eine „Hilfsaktion der sozialistischen Bruderstaaten gegen die Konterrevolution in der CSSR“. Auf allen Westkanälen laufen Sondersendungen über eine Militäraktion des Warschauer Paktes.
Die ersten Fernsehbilder aus Prag zeigen junge Leute, die sich den Panzern entgegenstellen: empörte und fassungslose Menschen, die versuchen, mit den Sowjetsoldaten zu reden. Die Fernsehzuschauer sehen außerdem Jugendliche, die eine tschechoslowakische Fahne durch die Straßen tragen. Sie ist rot vom Blut eines erschossenen Demonstranten.
In der DDR herrscht an diesem Sommertag Ruhe. Die Städte machen einen ausgestorbenen Eindruck. Nur dem aufmerksamen Beobachter fällt die erhöhte Polizeipräsenz in den Straßen auf. Seit dem Vorabend herrscht bei allen bewaffneten Organen höchste Alarmstufe. Die Genossen der SED werden zusammengetrommelt, über die Lage informiert und aufgefordert, „revolutionäre Wachsamkeit“ zu üben. Doch die Vorsichtsmaßnahmen sind übertrieben: Größere Menschenansammlungen gibt es am 21. August 1968 in der DDR nur an den Badestränden.
Die Stille im Lande steht im Gegensatz zur inneren Aufgewühltheit der Menschen. Sie spüren, dass an diesem Tag etwas geschehen ist, das niemals wiedergutzumachen ist. Über den in der Tschechoslowakei proklamierten „Sozialismus mit menschlichem Antlitz“ siegt die brutale Macht der sowjetischen Panzer. Eine ganze Generation wird um ihren Traum betrogen.
Nach den Ereignissen in Prag blüht der Widerstand wieder auf
Der Widerspruch zwischen der Ruhe, die nach außen hin demonstriert werden muss, und der inneren Empörung zerreißt viele junge Leute förmlich. Etliche machen ihrer Enttäuschung durch spontane Aktionen Luft, ziehen nachts los und malen Parolen an Häuserwände. Sie fertigen handgeschriebene Flugblätter an, die sie in Hausbriefkästen werfen oder an die Wände kleben.
Andere entschließen sich zu offenen Formen des Widerstands: Sie geben Protesterklärungen ab oder verweigern sich den überall eingeforderten Zustimmungserklärungen, welche die SED in diesen Tagen verschickt und mit denen man die parteitreue Gesinnung schriftlich dokumentieren soll. Zahlreiche Aktivisten werden verhaftet. In einigen brandenburgischen und thüringischen Städten treibt die Polizei Jugendliche auseinander, die ihren Protest auf die Straße tragen wollen.
Im Oktober 1968 legt der Generalstaatsanwalt der DDR eine Statistik über Personen vor, die im Zusammenhang mit den „Hilfsmaßnahmen der Bruderstaaten“ auffällig werden. Dies betrifft insgesamt 1.189 Personen, wobei die Masse der „Straftäter“ zwischen 16 und 30 Jahre alt ist. Zählt man noch diejenigen unter 16 Jahren hinzu, kommt man auf 75 Prozent, das heißt, drei Viertel aller Ermittelten sind unter 30 Jahre. Erstaunlich: 84,2 Prozent der belangten Personen sind Arbeiter, während nur 1,7 Prozent Intellektuelle und 8,5 Prozent Schüler und Studenten sind.
Bei allen, die gegen die Niederschlagung in Prag aufbegehren, überwiegt das Gefühl von Ohnmacht und Isolation. Die breite Masse der Bevölkerung scheint die völkerrechtswidrige Gewaltaktion gleichgültig hinzunehmen. Der Theaterregisseur Adolf Dresen hat über die Protestaktion von Thomas Brasch, einem Ostberliner Funktionärssohn und angehenden Lyriker, ein Gedicht geschrieben, dass diese Stimmung zum Ausdruck bringt:
BRASCH
Als die Interventen in Prag einmarschierten Verteilte Brasch am Prenzlauer Berg Flugblätter: Wollt ihr euch denn alles gefallen lassen?
Das Schlimme war nicht, dass sie ihn nach drei Tagen abholten Das Schlimme war, dass er nach drei Tagen merkte, ja Sie wollen sich alles gefallen lassen.
Zitierempfehlung: „Reaktionen in der DDR auf das Ende des Prager Frühlings“, hrsg. v. Bundeszentrale für politische Bildung und Robert-Havemann-Gesellschaft e.V., letzte Änderung Dezember 2019, www.jugendopposition.de/145366
Zum Anschauen des Videos benötigen Sie Javascript oder Flash
Wie sie uns herausgefunden haben, habe ich erst hinterher erfahren, bei Akteneinsicht. Meine Schwester war in Greifswald, wollte zurückkommen, das erste Mal wieder nach Hause, von den ersten vier Studienwochen. Wir haben abends am Bahnhof auf sie gewartet, mein Vater und ich, um sie abzuholen, am 18. September. Und dann kam sie nicht. Das war damals mit dem Telefon immer schwierig. Zu guter Letzt haben wir irgendwo in Greifswald unsere Verwandten rangekriegt. Da wusste einer: Gerlinde ist heute aus der Vorlesung gerufen worden.
Und damals konnte ich nicht einschätzen, was der Satz bedeutet. Aber das ist ein Satz, den man später immer mal wieder getroffen hat. Wenn man zum Rektorat oder zur Kaderabteilung gerufen wird, dann heißt das einfach mehr. Beim Rektorat hat die Stasi auf sie gewartet, sie abgeholt und im Auto nach Frankfurt gefahren. Das ist aber schon früh an diesem 18. gewesen. Das wussten wir damals nicht. Ich konnte mir aus dem Ganzen keinen Reim machen: Warum sie nicht gekommen ist, was das mit dem Rektor bedeutet. Das war abends um elf. Wir sind schlafen gegangen und am anderen Tag bin ich früh zur Schule gegangen. Und da wurde ich dann auf dem Schulweg eingesammelt.
Hildegart Becker, Zeitzeugin auf www.jugendopposition.de