Am 21. Dezember 1949 feiert die „fortschrittliche Menschheit“ den 70. Geburtstag des „größten Genius unserer Epoche und Führers des Sowjetvolkes Josef Wissarionowitsch Stalin“. Im Saal der Staatsoper in Berlin haben sich die Spitzen von Partei und Staat versammelt, um dem Jubilar zu huldigen. Staatspräsident Wilhelm Pieck hält die Festrede, die von allen Sendern des Demokratischen Rundfunks übertragen wird.
Auf einem Dachboden im thüringischen Städtchen Altenburg hat sich eine Gruppe Oberschüler versammelt, die den Sowjetdiktator auf ihre Weise würdigen will: Mit einem selbst gebastelten Sender stört sie die Frequenz des staatlichen Rundfunks und kommentiert die Rede des Präsidenten kritisch. Die Sendung ist im Umkreis von ungefähr 40 Kilometern zu empfangen.
Die Sicherheitsorgane sind nicht geneigt, diese Aktion als Schülerstreich hinzunehmen. Sie beginnen, intensiv nach den Störenfrieden zu suchen. Allein am 24. und 25. März 1950 werden 17 Personen vom sowjetischen Geheimdienst verhaftet. Fünf Leuten gelingt die Flucht in den Westen.
Der Gruppe wird vorgeworfen, nicht nur die Rundfunksendung gestört, sondern auch Klebezettel mit einem F verbreitet zu haben. Das F steht für Freiheit. Für die Ankläger sind damit Kontakte zu der als Spionageorganisation geltenden Kampfgruppe gegen Unmenschlichkeit (KgU) erwiesen.
F steht für Freiheit, T steht für Tod
Der Prozess, der am 23. Mai 1950 vor dem Sowjetischen Militärtribunal (SMT) Weimar stattfindet, wird gegen 19 Mitglieder der Altenburger Widerstandsgruppe geführt. Zwei junge Lehrer und ein Schüler werden zum Tode verurteilt, acht weitere Personen erhalten Strafen bis zu 25 Jahren Arbeitslager.
Bei dem Schüler handelt es sich um Hans-Joachim Näther. Er wird wegen Spionage, antisowjetischer Propaganda und Mitgliedschaft in einer konterrevolutionären Organisation zum Tode verurteilt. Das Gnadengesuch wird abgelehnt. Hans-Joachim Näther wird am 12. Dezember 1950 in Moskau erschossen – drei Tage nach seinem 21. Geburtstag.
Der Lehrer Wolfgang Ostermann wird am gleichen Tag in Moskau hingerichtet. Sein Kollege Siegfried Flack stirbt drei Tage später durch Genickschuss. Wolfgang Ostermann und Siegfried Flack sind ebenfalls erst 21 und 22 Jahre alt.
Dem Schüler Ludwig Hayne gelingt zunächst die Flucht nach West-Berlin. Dort besucht er die Wirtschaftsoberschule Berlin-Charlottenburg und beteiligt sich weiter an den Aktionen der KgU. Am 20. Juli 1950 wird er vom MfS auf dem Potsdamer Platz verhaftet, in das Gefängnis der Volkspolizei am Alexanderplatz gebracht und schließlich an die sowjetische Besatzungsmacht ausgeliefert. Ein Militärtribunal in Weimar verurteilt ihn am 21. Februar 1951 zum Tode. Das Urteil wird am 28. April 1951 in Moskau vollstreckt. Ludwig wird mit 19 Jahren erschossen.
Die Asche der Hingerichteten wird vom sowjetischen Sicherheitsdienst auf dem Moskauer Friedhof Donskoje verscharrt. Zum Gedenken an mehr als 900 deutsche Opfer wird im Jahre 2005 auf dem Friedhof ein Gedenkstein eingeweiht.
Zitierempfehlung: „Altenburger Oberschule“, hrsg. v. Bundeszentrale für politische Bildung und Robert-Havemann-Gesellschaft e.V., letzte Änderung Oktober 2023, www.jugendopposition.de/145424